„Clash“: Tod einer Revolution durch Gitterstäbe betrachtet
Im Sommer 2013 stirbt der Traum von der ägyptischen Revolution und einer demokratischen Erneuerung endgültig. Nach dem Militärputsch liefern sich Gegner und Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohamed Mursi, der seinerseits ebenfalls eine Gegenrevolution auf den Weg gebracht hatte, blutige Straßenschlachten in Kairo. Polizei und Armee haben Mühe, der Lage Herr zu werden. Mitten im Krawall steht ein Gefangenentransporter der Polizei. Seit Stunden sind darin 30 Männer eingepfercht und sich selbst überlassen. Zwischen Tränengassalven und umherfliegenden Patronen kommen sie in ihren eigenen Ausscheidungen qualvoll zu Tode. Der schockierende Vorfall veranschaulicht, wie schnell die Menschlichkeit in Zeiten politischer Wirren verloren geht. Im Ausland nimmt man davon keine Notiz.
Das soll „Clash“ ändern. Der ägyptische Regisseur Mohamed Diab, der die Proteste gegen einen weiteren Ex-Staatschef, nämlich Hosni Mubarak, im Frühjahr 2011 mit angeführt hatte, ließ sich von dem realen Ereignis zu seinem klaustrophobischen Drama über jene Tage des tödlichen Chaos am Nil inspirieren. Die Handlung beginnt damit, dass sich die Tür des Häftlingstrucks hinter zwei Reportern scheppernd schließt. In diesen Tagen halten die Sicherheitskräfte jeden für verdächtig, wahllos verhaften sie Menschen auf offener Straße. Auch unter denen, die sich nach und nach zu den beiden Journalisten gesellen, herrscht Misstrauen. Wer sich als Anhänger der Muslimbruderschaft outet, ist den Augen der anderen ein Terrorist.
Isolierter Blick
Die Muslimbrüder wiederum halten jeden, der nicht für sie und ihren aus dem Amt gefegten Staatschef ist, für einen Feind. Mursi-Fans, Anhänger der Armee, desillusionierte junge Männer und ein ebenso säkulares wie armeekritisches Ehepaar mit Sohn: Die tiefe Spaltung der ägyptischen Gesellschaft setzt sich in dem mit gut 20 Menschen gefüllten stickigen Gefährt fort, dort werden die gleichen Rituale der Abgrenzung gepflegt wie draußen. Dort toben derweil gewaltsame Proteste, immer wieder knallen Steine aufs Dach und gegen die Fenster. Dieses Geschehen wird ausschließlich aus der Perspektive der Eingesperrten beobachtet. Dieser isolierte Blick auf das undurchsichtige Chaos ringsherum ist zutiefst verstörend.
Von den Kairoer Protesten ausschließlich in der Huis-Clos-Perspektive zu erzählen, ist zweifellos ein radikaler Ansatz. Der 39-jährige Filmemacher erreicht damit, dass sich die Zuschauer gut in die Lage der Insassen hineinversetzen können, ihre Wut und Angst sind geradezu physisch greifbar. Dabei zur Ruhe zu kommen, ist unmöglich. Immer wieder spitzt sich die Lage zu. Und doch bleibt Raum für Situationskomik und Galgenhumor. Weil die Gefängnisse überfüllt sind, kurvt der Transporter durch die verstopften Straßen von Ägyptens Hauptstadt oder steht irgendwo herum. Wird die vergitterte Ladefläche auch für diese Menschen zur tödlichen Falle?
Ohne Hemmschwellen
Trotz der atemlosen Erzählweise bewahrt sich Diab den präzisen Blick auf das Geschehen. Wie schon in dem Drama „Kairo 678“, das eine vorrevolutionäre, unter Hochspannung lebende Gesellschaft porträtiert und kurz vor dem Start der Großdemonstrationen gegen Mubarak angelaufen war, sind all die Konflikte und Fliehkräfte hautnah mitzuerleben, allerdings verdichtet in einer kammerspielartigen Situation. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass wir mit „Clash“ in ein System eintauchen, das nach dem großen Knall von 2011 und 2013 kaum noch Hemmschwellen kennt. Nicht nur im Wissen um die reale politische Entwicklung späterer Tage eine bedrückende Erfahrung, trotz einer letztendlich starren Inszenierung, die gesellschaftliche und politische Extreme auf die Spitze treibt, ohne die Motive der Einzelnen tiefergehend zu erklären. Aber auch, ohne sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen.
„Clash“ (Ägypten /Deutschland /Frankreich 2016), ein Film von Mohamed Diab, mit Nelly Karim, Hany Adel, Tarek Abdel Aziz u.a., 95 Minuten. Jetzt im Kino!