Kultur

Chronisch ungehorsam

Der Sozialpsychologe Peter Brückner war eine der Symbolfiguren der westdeutschen Protestbewegung der 70er-Jahre. 30 Jahre nach seinem Tod versucht sein Sohn, den politischen Intellektuellen neu zu entdecken. Und auch den Vater.
von ohne Autor · 4. Dezember 2015
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Außerhalb der Veteranen-Szene der einstigen Außerparlamentarischen Opposition ist Peter Brückner weitgehend vergessen. Je länger man dem Film seines jüngsten Sohnes Simon folgt und in die geistige Welt des Vaters eintaucht, desto stärker mag man darüber den Kopf schütteln. Schließlich zählen viele seiner Schriften  zum Originellsten, was jemals über das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft geschrieben wurde. Zumal sie in Zeiten entstanden, als über die Ausgestaltung der Demokratie – und damit auch über deren Grenzen – in der alten Bundesrepublik erbittert gestritten wurde. Und das nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in  Gesprächskreisen an Universitäten und zahllosen anderen öffentlichen Orten.

Filmreifes Leben

„Man muss das Nein gegenüber der Normalität nicht nur denken, sondern auch realisieren, ansonsten denkt man es nicht sehr lange“, schreibt der 1922 geborene Hochschulprofessor in „Aus dem Abseits“ – ein Buch, das sich mit seiner Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus beschäftigt. Das Abseits steht für die Abwesenheit der Macht: für Brückner ein Ort des Glücks. Jenes Zustands, der das eigentliche Ziel seines rebellischen Denkens war – welches Ungehorsam in der Gegenwart auch als Weg sah, die Lasten der braunen Vergangenheit abzuschütteln.

Jene Freiheitsliebe ist es auch, die Brückners Leben an sich schon filmreif macht: Unter den Nazis fliegt der Sohn einer jüdischen Mutter von der Uni. Als Wehrmachtssoldat verhilft er Kriegsgefangenen zur Flucht und schließt sich dem kommunistischen Widerstand an. Unter den sowjetischen Besatzern fliegt er erneut von der Uni. Im Westen reüssiert er als Psychologe mit Auftragsarbeiten für die Wirtschaft. Als Politik-Professor in Hannover gerät er mitten hinein ins Getümmel der 68er-Bewegung und zunehmend in Konflikt mit der Obrigkeit: Zweimal wird er als angeblicher RAF-Unterstützer suspendiert, obwohl er deren Gewalt wiederholt anprangert, wenngleich er diese aus der „historischen Situation“ Westdeutschlands ableitet. Und da wären noch mehrere Kinder mit mehreren Frauen. Mit gerade einmal 60 Jahren stirbt Brückner 1982 in Südfrankreich.

Feines Maschenwerk an Erinnerungen

Zeit seines Lebens postulierte er die Einheit von Geschichte und Lebensgeschichte. Dementsprechend geht Simon Brückner in seinem Film vor. „Aus dem Abseits“ nähert sich Entwicklungslinien und Zäsuren im Leben des Vaters, in denen dessen Sohn Berührungspunkte zwischen dem Wesen der Person und den Prägungen ihrer Zeit offenbaren. Dafür reicht der Erzählfaden weit zurück bis in die frühen Jahre in der Nazi-Hochburg Sachsen. Dem 1978 geborenen Regisseur und Co-Drehbuchautor ging es aber auch um den Versuch, einen Menschen zu entdecken, von dem ihm nur ein flüchtiges Bild geblieben ist.

Angesichts des Bergs an Deutungen von Zeitzeugen und Begleitern, viele von ihnen kommen vor der Kamera zu Wort, keine leichte Aufgabe. „Ich habe filmische Ausgrabungen unternommen, um die Distanz zu meinem Vater zu verringern – einem Menschen, an den ich kaum noch eigene Erinnerungen habe“, sagt Simon Brückner. „Was mir dabei in die Hände fiel, war viel weniger und viel mehr, als der Mensch, der mein Vater gewesen einmal ist: ein feines Maschenwerk von Erinnerungen, Gefühlen, Beziehungen, Lebensabschnitten und historischen Wegmarken. Ein Netz, das mich mit meiner Familie ebenso verbindet wie mit deutscher Geschichte.“

Heimatlosigkeit und Einsamkeit

Die offene Perspektive tut dem Film gut: Brückner breitet verschiedene Vorstellungen von der öffentlichen wie privaten Figur aus, ohne den Anspruch einer eindeutigen Diagnose zu verfolgen. Vielmehr skizziert er, wie Geschichte und Lebensgeschichte ineinander greifen. Neben dem politischen Intellektuellen, also einem öffentlich Denkenden, wird auch der Mensch Brückner umkreist: eine Persönlichkeit, die Zeit ihres Lebens mit den Mainstream im Clinch lag, aber auch immer wieder mit Heimatlosigkeit und Einsamkeit zu kämpfen hatte. Die ihr idyllisches, und Langlebigkeit suggerierendes Abseits erst gefunden hatte, als die Zeit knapp wurde.

Seine Nachforschungen bringen Simon Brückner am Ende zu einem überraschenden Befund. „Aus dem Abseits“ hat Längen, andererseits bleibt einem wohltuend viel Zeit, in dieses so unruhige wie genussvolle Leben einzutauchen. Simon Brückner vermeidet sowohl eine allzu persönliche und vorhersehbare Vater-Sohn-Schiene als auch die Fallstricke einer abstrakten Erzählung über einen Wissenschaftler. Die Hauptfigur wird als Teil der Zeitläufte beschrieben, wozu auch etliche Film- und Fernsehaufnahmen oder Fotos dienen. So wird ein Leben zumindest ansatzweise greifbar, in dem sich vertraute Linien des Zeitalters der Extreme, aber auch ganz charakteristische Brüche widerspiegeln. Nicht zuletzt macht der Film Lust, sich eingehender mit den Schriften eines Linksintellektuellen zu befassen, wie es nur wenige gab und gibt.

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