Kultur

Christliche Werte und das soziale Gewissen

von Dagmar Günther · 11. Februar 2008

" Geiz ist geil", schreit es von den Häuserwänden und nichts scheint selbstverständlicher als dass ein kluger Mensch sein Geld zusammenzuhalten und zu vermehren weiß. Die Herausgeberin des vorliegenden Buches, das sich dem Thema der Todsünden und dabei durchaus auch den alltäglichen frozzelnden Umgang mit dem Wort "Sünde" zuwendet, hat einen anderen Ansatz. Sie fragt nach dem gestörten Verhältnis zu Gott, das sich in der Akzeptanz und Aufwertung der ursprünglich als Todsünden gebrandmarkten Verhaltensweisen ausdrücke. Der Geiz gehört zu den Todsünden.

Dieser Ansatz könnte vermuten lassen, das Buch wende sich vorrangig an Mitglieder der Kirche. Entstanden ist aber ein Text, der durchaus Gläubige wie "Ungläubige" anzusprechen vermag. Das liegt nicht zuletzt an denen, die sich hier geäußert haben:

Der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust zum Hochmut, die ehemalige Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins und ehrenamtliche Bundesvorsitzende von UNICEF Deutschland Heide Simonis zum Geiz, die Hamburger Bischöfin und erste lutherische Bischöfin der Welt Maria Jepsen zum Neid, der Chefredakteur und Herausgeber von "Bild" und "Bild am Sonntag" Kai Diekmann zum Zorn, der ARD-Sportschau-Moderator Reinhold Beckmann zur Wollust, der Intendant des Thalia-Theaters in Hamburg Ulrich Khuon zur Maßlosigkeit und der Fernseh-Intendant und Medienrechtler, bis 2002 auch Präsident des deutsch-französischen Senders Arte, Jobst Plog zur Trägheit.

Unsicher in der Annäherung

Die Annäherung an den Gegenstand erfolgt auf sehr unterschiedliche Weise. Einen Nenner aber scheint es zu geben: Neben der Einbindung in Geschichtliches wird immer danach gefragt, was es bedeutet, wenn sich Hochmut, Geiz, Neid, Zorn, Wollust, Maßlosigkeit und Trägheit als fixe Größen im Leben unserer Gesellschaft etablieren. Dabei gibt es zunächst durchaus keine Sicherheit, dass der verhandelte Gegenstand nicht vielleicht doch von Wert sein könnte, für die eigene Person wie für andere. Könnte es nicht sein, dass es in der Gesellschaft gerade daran mangelte?



Von außen entfachter Zorn


Kai Diekmann vertritt diesen Standpunkt in Bezug auf den Zorn. Er meint, man ließe sich in der Gesellschaft viel zuviel gefallen. Und weist unter anderem auf die Kluft zwischen Wahl-Versprechen und Nach-Wahl-Verhalten, auf das Hinnehmen von Gewaltstraftaten in der Öffentlichkeit hin. Problematisch dürfte dabei allerdings sein, dass von außen entfachter Zorn leicht kein Maß mehr kennt und ganze Gruppen ohne Ansehen der Person treffen kann. Im Kontext dieses Buches drängt sich dabei ganz besonders der Gedanke an das ganz andere Verhalten Jesus auf, der dazu aufforderte, erst kritisch auf sich selbst zu schauen, bevor man über andere richte. Die Wut des unmittelbar Betroffenen, der dem Recht zur Geltung verhilft (ebenfalls Beispiel Jesus wie hier angeführt: der Hinauswurf der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel) ist von anderer Art und setzt andere Bezüge.



Das rechte Maß


So lässt sich letztlich für alles, ob es sich nun um Hochmut, Geiz, Neid, Zorn, Wollust, Maßlosigkeit oder oder Trägheit handelt, eine zugrunde liegende Eigenschaft finden, die nicht nur berechtigt ist, sondern sogar zum unabdingbaren Gefühlshaushalt und zur Überlebensnotwendigkeit der Menschen gehört. Ohne Geld kann man in keiner modernen Gesellschaft leben. Folglich muss man es tatsächlich zusammenhalten. Aber Geiz um jeden Preis? Soll man unter allen Umständen sparen und dabei andere kaputtsparen? Soll man nicht helfen, wo man helfen kann? Wer sich selbst nicht achtet, wird es auch bei anderen schwer haben, Achtung zu erlangen. Aber Hochmut? Ist das Selbstachtung oder nicht eher Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen auf Kosten anderer?

Bedürfnis oder mangelhafte Kompensation

Seine Bedürfnisse nicht anzumelden, sich selbst zu bescheiden und nicht für sich zu verlangen, was andere längst haben, ist das immer richtig? Kaum. Neid ist menschlich, aber er zerfrisst zuerst seinen Träger. Jepsen verweist darauf, dass bereits ihn zu äußern gegen ihn hilft, dass dies allerdings Souveränität verlangt. Sie verlangt damit letztlich, dass der Einzelne zu seinen Gefühlen stehe und dass er sich weder überschätze noch manipulieren lasse. Sie fordert Mitmenschlichkeit und Maßhalten.



Über die Herausgeberin


Ulrike Murmann wurde 1961 geboren, ist promovierte Theologin und seit 475 Jahren die erste Hauptpastorin und Pröpstin an der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen. Mit der Diskussion über die Todsünden trägt sie aus Sicht einer evangelischen Würdenträgerin zum Wertediskurs in unserer Gesellschaft bei.



Was ist Konsens in der Gesellschaft? Die Frage stellt sich.

Dorle Gelbhaar

Ulrike Murmann (Hrsg.) "Auf Teufel komm raus. Von Wollust, Geiz und anderen Todsünden", Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2008, 143 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-579-06458-1

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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