Buchholz und Brosda: Kunst hat eine politische Relevanz
Nach dem harten Lockdown öffnet sich das Leben wieder ein Stück weit. Wie ist die berufliche Situation für Kulturschaffende?
Simone Buchholz: Ich glaube, die Künste sind gerade voller Aufbruch, aber auch mit ganz schön dünner Haut unterwegs. Ich selbst fühle mich nicht mehr wie in so ein Abklingbecken gepackt. Die Pausentaste ist jetzt nicht mehr so hart gedrückt und doch spüre ich ihre Auswirkungen – dass ich zum Beispiel jetzt, wo es wieder losgeht, wahnsinnig erschöpft bin von jeder Kleinigkeit, die vor Publikum stattfindet. Ich glaube viele Menschen haben diese Dünnhäutigkeit. Es ist wahnsinnig anstrengend, aber gleichzeitig sehr schön und bereichernd. Und wahrscheinlich geht es vielen Künstlerinnen und Künstlern genauso.
Carsten Brosda: Auf jeden Fall. Erst gestern Abend habe ich lange mit Autorinnen und Autoren darüber gesprochen. Und auch die haben das bestätigt. Man schreibt ein Buch oft zwar mehr oder weniger alleine, aber es ist ja noch mal etwas anderes, wenn man feststellt, was Menschen damit machen, und wenn man auch etwas wiederbekommt. In den darstellenden Künsten liegt das noch mehr auf der Hand. Hier vervollständigt oft ja erst die Interaktion mit dem Publikum das Werk. Das ist wirklich etwas, das sich durch digitale Formate nur ein bisschen erahnen lässt. Dass sich das jetzt wieder ändert, das ist viel, viel kostbarer, als wir das vielleicht vorher wahrgenommen haben. Meine große Hoffnung ist, dass wir bewusster mit diesem Raum umgehen, der zwischen uns entsteht in der Interaktion miteinander, aber auch in der Auseinandersetzung mit Kunst.
Buchholz: Das ist einfach ein großer Teil dessen, was unsere Menschlichkeit ausmacht. Jeder, der auf einem tollen Konzert oder auf einer Lesung war, spürt diese Räume, die zwischen uns sind und durch Kunst gefüllt werden.
Müssen wir nicht über die Rolle von Kultur in der Gesellschaft neu diskutieren, jetzt, wo wieder etwas von Aufbruch zu spüren, aber die Pandemiezeit nicht vorbei ist?
Brosda: Die Pandemiezeit ist nicht vorbei. Aber das Schöne ist ja, dass wir jetzt nicht mehr nur diskutieren müssen, sondern dass wir es jetzt wieder spüren können. Das ist das viel Entscheidendere. Von der Kunst und ihren Wirkungen sprechen ist ja nur das Zweitbeste, weil das Eigentliche, nämlich das unmittelbare Erleben, fehlt. Das lässt sich nicht ersetzen. Denn wenn Kunst uns etwas gibt, worüber wir sprechen können, müssen wir gar nicht über sie sprechen, sondern dann reden wir über Themen und Gefühle, die sie auslöst. Und dann verständigen wir uns. Dadurch hat Kunst auch eine politische Relevanz, weil sie uns befähigt zu sprechen. Und dieses miteinander Sprechen schafft einen Raum des Politischen.
Dieses Erlebnis gab es auch vor der Pandemie. Trotzdem hat die Kultur den Kürzeren gezogen, im Vergleich etwa zu Gottesdiensten. Muss es da nicht politische Rahmenbedingungen geben?
Buchholz: Ja. Ich glaube dafür gibt es gute Gründe. Einerseits – nur so als kleine Schleife – diese Dünnhäutigkeit, die wir Künstlerinnen und Künstler empfinden. Wir sind durchlässige Wesen, die es vielleicht ein bisschen anders zu beschützen gilt. Denn wenn wir uns eine dickere Haut zulegen, dann können wir das nicht mehr leisten, was wir leisten müssen. Und ich spreche wirklich von „müssen“, weil ich glaube, dass in der Politik, aber auch bei denen, die Kunst machen, eine Rückbesinnung auf die essenzielle Funktion von Kunst und Kultur stattfinden muss. Unsere ureigenste Aufgabe ist doch, einer Gesellschaft davon zu erzählen, wer sie ist und wo sie gerade steckt.
Brosda: Und auch, was Gesellschaft sein könnte. Das Entscheidende an Kunst ist ja das Ästhetisch-Spielerische, das Als-ob, die Frage „Was wäre, wenn?“ Um das zu sichern, braucht es klare Rahmenbedingungen, die wir zum Teil anders setzen müssen als bisher. Wir müssen unsere soziale Sicherung anders organisieren. Wir müssen Fördersysteme verändern. Wir müssen uns auch die Art und Weise, wie Politik, Gesellschaft und Kultur miteinander umgehen, noch mal angucken.
Buchholz: Wichtig ist aber auch, die Struktur dieser Rahmenbedingungen zu verändern und Förderung durchlässiger zu machen. Die ist nämlich ganz schön verknöchert, patriarchal und unserer diversen Gesellschaft nicht mehr angemessen. Wie viele Stipendien ich in meinem beruflichen Leben schon ablehnen musste, weil ich seit 13 Jahren Mutter bin! Ich kann nicht vier Wochen da hin und acht Wochen da hin. Das geht nicht. Das spiegelt sich auch im Lebenslauf. Die Förderbedingungen sind zu undurchlässig. Sie müssen für alle funktionieren, wenn wir die Gesellschaft abbilden wollen, von der wir erzählen, von der wir Geschichten hören wollen. Das gehört absolut dazu.
In der SPD hat Kultur immer eine große Rolle gespielt. Welche Hoffnung verbinden Sie diesbezüglich mit der SPD und mit einer SPD-geführten Bundesregierung?
Buchholz: Meine Hoffnung wäre, dass ich als ein gesellschaftlicher Player auf Augenhöhe gesehen werde, weil ich das tue, was ich tue, und dass alle, die zur Gesellschaft beitragen, auf Augenhöhe angesehen werden. Für mich als Künstlerin würde ich mir da einen sehr konkreten Dialog wünschen mit politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und vielleicht auch einen öffentlichen, also die Rückkehr des Wertes von Intellektuellen für eine Demokratie und für ein denkendes Land.
Brosda: Genau das ist es. Politik zieht sich manchmal zu sehr ins Administrieren zurück. Darüber geht der Bezug für den Sinn des Ganzen zunehmend verloren. Ich glaube viel Unverständnis, hat auch damit zu tun, dass Leute keine ausreichende Antwort auf die Frage, warum manches gemacht wird, bekommen. Aber der konkrete Dialog muss auch Folgen haben. Nichts finde ich schlimmer, als wenn man miteinander redet, und danach geht man auseinander und jeder macht Seins. Es gehört zu sozialdemokratischer Politik, auch Kulturpolitik, dazu, dass wir aus diesen Gesprächen Konsequenzen ziehen, dass sie Wirkung zeigen und Politik verändern können. Das ist der zweite, ganz entscheidende Schritt. Sonst macht Politik ihren Job nicht.
Eines der im SPD-Wahlprogramm formulierten Ziele ist ein bundesweites Kulturplenum. Was muss ich mir genau darunter vorstellen? Und ist das die Einrichtung, die die Fenster in alle Richtungen öffnet?
Brosda: … nur eingeschränkt. Dieses bundesweite Kulturplenum hat eher die Aufgabe, an der Frage der Rahmenbedingungen zu arbeiten. Die verschiedenen Puzzleteile der Kulturförderung passen nicht mehr an jeder Stelle zusammen. Häufig folgen sie alten Logiken und schließen Menschen aus. Was die Fenster öffnet, ist eher das Bündnis für künstlerische Freiheit und Vielfalt, das wir anbieten wollen. Da geht’s tatsächlich um den unmittelbaren, konkreten, gesellschaftsrelevanten Dialog mit Kunstschaffenden. Wir wollen den öffentlichen Debattenraum zwischen Politik und Intellektuellen – und zu denen zähle ich Künstler, Wissenschaftler und andere – öffnen, tatsächlich etablieren und vor allem einfach regelmäßig leben.
Buchholz: Irgendwie müssten Künstlerinnen und Künstler sich auch noch mal klarer darauf verständigen, zu nerven. Diese Verständigung darauf, unbequem zu sein, ungemütlich, Irritation, Störfaktor zu sein, das passiert zum Beispiel in der Bildenden Kunst und im Theater sehr offensichtlich. Wir können aber als Gruppe stärker werden.
Ein Versprechen an Politik, dass Kunst und Kultur wieder mehr nerven?
Brosda: Es muss doch darum gehen, dass wir anerkennen, dass uns allen aus unterschiedlichen Positionen und unterschiedlichen Zugriffen heraus trotzdem diese Gesellschaft und ihre Zukunft am Herzen liegen und wir zumindest das Interesse daran haben müssten, – meinetwegen auch wie die Kesselflicker – darüber zu streiten, wo wir eigentlich hin wollen. Auch mit der Erwartung, dass wir aus diesem Streit schlauer rausgehen, als wir reingegangen sind. Diese Gesellschaft wird sich in den nächsten Jahren an ganz vielen Stellen massiv verändern müssen, wenn wir klarkommen wollen, und zwar auch, weil wir sie besser machen wollen. Es geht ja nicht darum zu sagen: „Wir sind so zufrieden, wie es jetzt ist, kann so bleiben.“ Dann wäre ich in einer anderen Partei. Ich will, dass wir veränderungsfähig werden.
Buchholz: Ich glaube, wir unterschätzen den Reichtum, den die Kunst an der Politik und die Politik an der Kunst haben. Wenn wir mal die Kräfte zusammenschmeißen würden, ohne uns gleichzumachen, könnte daraus eine große gesellschaftliche Kraft entstehen.
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ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.