Kultur

„Blix Not Bombs“: Kritischer Blick auf das Erbe eines Krisenmanagers

Auf ihm ruhten Hoffnungen, den Irakkrieg zu verhindern: Hans Blix stand im Epizentrum dieser und anderer globaler Krisen. Die Filmemacherin Greta Stocklassa sucht mit ihm nach Lösungen für die Konflikte von heute.
von ohne Autor · 23. Mai 2023
Gemütlichkeit nach turbulenten Jahren: Der frühere Top-Diplomat Hans Blix in seiner Wohnung.
Gemütlichkeit nach turbulenten Jahren: Der frühere Top-Diplomat Hans Blix in seiner Wohnung.

So hat man Hans Blix noch nicht gesehen. Der ältere Herr wirkt wie ein Schwede aus dem Bilderbuch. Er sitzt in seiner gemütlichen, aber schlichten Wohnung in einem ebenso schlichten Mehrfamilienhaus und füttert die Vögel am Fenster. Im Sommer zieht es ins Ferienhütte am See, wo er ein erfrischendes Bad nimmt.

Chef der UN-Rüstungskontrollkommission

Die Karriere des früheren Politikers und Diplomaten steht für alles andere als Bullerbü. Als Chef der UN-Rüstungskontrollkommission leitete er ab dem Jahr 2000 die Waffeninspektionen im Irak. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Obwohl sich – anders als von der Bush-Administration gebetsmühlenartig behauptet – keine Massenvernichtungswaffen fanden, überfielen die USA und ihre Verbündeten das Land. Das anschließende Chaos hält die Region noch immer in Atem.

20 Jahre später kommt der Dokumentarfilm „Blix Not Bombs“ in die Kinos, der viele Fragen an das damalige Geschehen hat. Und auch an Hans Blix persönlich: Hat der bald 95-Jährige damals genug getan, um den US-Feldzug zu verhindern? Haben er und andere Akteur*innen die Mittel der Diplomatie ausgeschöpft? Wurde damals eine Entwicklung losgetreten, die die Hemmschwelle für weitere völkerrechtswidrige und mit angeblichen „Fakten“ begründete Angriffskriege – man denke nur an Russlands Invasion in der Ukraine – gesenkt hat? Lässt sich damit gar der Aufstieg der Rechtspopulisten begründen, weil sich nach der Zerstörung der staatlichen Ordnung im Zweistromland der islamistische Terror ausbreitete und sich gigantische Ströme von Geflüchteten in Bewegung setzten?

Sichtweise auf Tun hinterfragen

Hans Blix hat seine Sicht auf die Dinge bereits ein Jahr danach in seinem Buch „Mission Irak – Wahrheit und Lügen“ dargelegt. In „Blix, not Bombs“ soll er dazu gebracht werden, die Sichtweise auf sein Tun zu hinterfragen. Sein Gegenüber während der Interviewszenen ist die Filmemacherin Greta Stocklassa. Sie beweist sich als hartnäckige Gesprächspartnerin und lässt auch an unbequemen Stellen nicht locker.

Auffällig ist die subjektive und moralisierende Dimension der Gesprächsführung. Das hat seine Gründe. Greta Stocklassa, 1993 in eine schwedisch-tschechische Familie geboren, will verstehen, was in der von zunehmenden internationalen Konflikten und Krisen geprägten Gegenwart vor sich geht. Zugleich arbeitet sie einen Bruch in ihrer Biografie auf: Die 90er-Jahre erlebte sie als friedvolle und hoffnungsvolle Zeit (auch das ist natürlich sehr subjektiv). Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 wurde alles anders.

Blick auf Ukraine-Krieg und Klimawandel

Die Filmemacherin nimmt die Perspektive einer neuen und jungen Generation ein, die herausfinden will, warum die Älteren ihr eine so vielfach bedrohte Welt hinterlassen. Zugleich geht es um die Frage, welche Lösungen der Krisenmanager Hans Blix heute anstreben würde – etwa im Fall des Überlebenskampfes der Ukraine oder mit Blick auf den Klimawandel.

Der Austausch zwischen den beiden ist reizvoll und trotz der Gegensätze, die diese Konstellation mit sich bringt, gut ausbalanciert. Die Rollen sind klar verteilt. Dort der gewiefte Taktierer, der sich nur ungern auf eindeutige Positionen festnageln lässt. Und dort die idealistische junge Regisseurin, die endgültige Antworten und nichts als die Wahrheit sucht. In einem Moment lockt Greta Stocklassa den Gesprächspartner allerdings derartig aus der Reserve, dass der sonst so gelassene und freundliche Mann ganz undiplomatisch den Raum verlässt.

Brücke zwischen damals und heute

Ergänzt werden die Interviewsequenzen durch Archivmaterial aus jener Wendezeit, als Hans Blix gefühlt jeden Tag über das Fernsehen in die Wohnzimmer flimmerte. Wir sehen ihn auf den Fluren des UN-Hauptquartiers in New York oder auf heikler Mission im Reich von Diktator Saddam Hussein. Im Wissen um das, was ab dem 20. März 2003, als der Irakkrieg begann, folgte, schmerzen diese Bilder.

Wiederholt schlägt der Film eine Brücke zwischen damals und heute. Besonders in jener Szene, in der Ex-US-Präsident George W. Bush Putins Krieg gegen die Ukraine anprangert, aber statt der früheren Sowjetrepublik versehentlich den Irak nennt.

Wie ist unsere Welt in den vergangenen zwei Dekaden zu dem geworden, was sie ist? Was steht uns noch bevor? Wie lassen sich die Kriege und Krisen, die derzeit die Nachrichten beherrschen, lösen? „Blix, Not Bombs“ bietet in dieser Hinsicht viele Annäherungen, aber kaum endgültige Gewissheiten. Das wäre, bei allem Respekt für Hans Blix' Expertise, auch zu viel verlangt. Dennoch ist es unterhaltsam und berührend zu verfolgen, wie er und die Vertreterin einer anderen Generation gemeinsam versuchen, die verschlungenen Pfade der jüngeren Konflikte zu ergründen und daraus Lehren für die Krisen von heute zu ziehen.

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