Kultur

„Black Box“: Wie eine Gesellschaft im Kampf um Wohnraum zerfällt

Ein dubioser Container bringt den Ausnahmezustand in einen Berliner Innenhof: Anhand einer verunsicherten Hausgemeinschaft befasst sich das Drama „Black Box“ mit Krisensymptomen unserer Zeit.
von ohne Autor · 11. August 2023
Henrike Koch (Luise Heyer) und ihre Nachbar*innen sind von der Außenwelt abgeschnitten.
Henrike Koch (Luise Heyer) und ihre Nachbar*innen sind von der Außenwelt abgeschnitten.

Unvorhersehbare Ereignisse, die das vertraute Wohnumfeld auf den Kopf stellen und das Gefühl des Ausgeliefertseins: So sehen Albträume von Mieter*innen aus! Oft bedeuten unverhoffte Veränderungen, dass sich letztlich auch die Bewohner*innen verändern, also umziehen müssen.

Die Angst vor dem Umzug

Gleich zu Beginn von „Black Box“ wird diese Angst wirkungsvoll beschworen. Ein Kran hebt einen schwarzen Container über die Dächer in einen Innenhof mitten in der Hauptstadt. Auf dem Metallkasten prangt die Aufschrift „East West Management“: Es ist der Name der Immobiliengesellschaft, die hier das Sagen hat.

Doch warum nistet sich der Vertreter des Unternehmens zwischen den grauen Hausfassaden ein? Soll er für gute Stimmung sorgen, weil die Wohnungen saniert und teuer weiterverkauft werden? Oder soll er die Hausbewohner*innen überwachen? Der einschüchternd stoische Mitarbeiter Johannes Horn, der mit dem Container eingetroffen ist, lässt sich nur spärliche Informationen entlocken. Die Zeichen zwischen ihm und der Hausgemeinschaft stehen auf Konfrontation.

Paranoide Stimmung

Die Mieter*innenschaft ist allerdings längst nicht so geschlossen wie gedacht. Manche suchen in der neuen Situation ihren Vorteil. Angst und Misstrauen nehmen zu. Als wenig später Polizist*innen den Hofeingang absperren und die Menschen auffordern, in ihren Wohnungen zu bleiben, ist die paranoide Stimmung perfekt. Ein Haus im Ausnahmezustand.

In ihrem Film zeichnet die Regisseurin und Drehbuchautorin Asli Özge ein düsteres Bild von den bundesrepublikanischen Verhältnissen. Die Gesellschaft zerfällt, weil wachsender Egoismus jegliche Solidarität vernichtet und die soziale Spaltung zunimmt. Der Kampf um (bezahlbaren) Wohnraum wird gerade in Ballungsgebieten immer härter. Die Gentrifizierung vernichtet alles Vertraute. Demokratische Strukturen lösen sich auf.

Ein Tag im Haus

All das verhandelt „Black Box“ in einem sehr reduziertem Rahmen: räumlich, zeitlich und personell betrachtet. Einen Tag lang begleitet der Film die zunächst wie gelähmt wirkende Hausgemeinschaft, die wegen der rätselhaften Sicherheitsmaßnahmen viele Fragen hat: Gab es einen Anschlag? Leben Terrorverdächtige im Haus?

Anstelle von Antworten kursieren Spekulationen und Verdächtigungen. In dem Mikrokosmos brechen sich ungeahnte Dynamiken Bahn. Kommt die Gefahr von außen oder aus dem Inneren dieser kleinen Welt? Läuft parallel noch eine viel größere Sache? Der über dem Hof kreisende Hubschrauber verheißt nichts Gutes.

Vielerlei Perspektiven

Das Futter für die besagten Dynamiken liefert die heterogene Hausgemeinschaft selbst. Nach und nach kristallisieren sich verschiedene Machtpositionen und Interessenlagen heraus. Henrike Koch (Luise Heyer) hofft auf einen guten Deal mit Horn, der mit Appellen wie „Wir müssen unseren Hof schützen“ immer wieder die angeblich bedrohte Sicherheitslage beschwört. Gerne würde die IT-Expertin eine Eigentumswohnung in dem Gebäude in bester Lage kaufen. Am besten mit einem neuen Job im Rücken. Doch wegen der Blockade droht ihr Bewerbungsgespräch zu platzen.

Von einer ganz anderen Warte blickt ihr zeitweiliger Gegenspieler Erik Behr (Christian Berkel) auf die Dinge. Immer wieder versucht der Lehrer, die anderen gegen Horn und seine Anordnungen zu mobilisieren. Einer Frau namens „Madonna“ (Manal Issa) und ihrem Partner Ismail Sultanov (Timur Magomedgadzhiev) kommt der Part der Außenseiter*innen zu, die sich immer wieder verdächtig machen – zumindest wird das Paar mit Migrationsgeschichte von vielen anderen so betrachtet.

Drängende Fragen unserer Zeit, ein interessantes dramaturgisches Konzept und obendrein eine hochkarätige Besetzung: Eigentlich bietet „Black Box“ gute Voraussetzungen für ein packendes Filmerlebnis. Doch genau dieses will sich nicht einstellen. Das liegt vor allem daran, dass die Handlung viele Fährten legt, die am Ende aber im Unklaren und Ungefähren verharren. Kann man machen, aber an einigen Stellen muss ein Plot eben auch Farbe bekennen. So gesehen geht zumindest die Pointe am Schluss in die richtige Richtung.

Subtiles Spiel mit der Bedrohung

Auch die Porträts und Geschichten der komplexen und gegensätzlich gelagerten Mieter*innengemeinschaft bleiben überwiegend blass. Man fragt sich, warum Özge für ihren Film eine vergleichsweise üppige Laufzeit von zwei Stunden ansetzt, wenn sie ihre Möglichkeiten nicht nutzt. An dieser Stelle wäre weniger womöglich mehr gewesen.

Das subtile Spiel mit der Bedrohung beherrscht die in Berlin und Istanbul beheimatete Künstlerin zweifelsohne, doch das allein ergibt noch keine Basis für eine überzeugende Erzählung. Immerhin ermöglicht „Black Box“ das Vergnügen, eine Reihe renommierter Darstellerinnen und Darsteller in einem urbanen Kammerspiel miteinander agieren zu sehen.

Info: „Black Box“ (Deutschland/Belgien 2022), ein Film von Asli Özge, mit Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Anne Ratte-Polle u.a.,120 Minuten. Ab 10. August im Kino

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