Kultur

Bewusstseinsnovelle

von Edda Neumann · 24. Dezember 2008
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Schauplatz der Handlung ist ein altes abgeschiedenes Haus inmitten eines Gewerbegebietes. Hier wohnen vier Geschwister. Früh haben sie sich von ihren Eltern los gesagt, ziehen freiwillig die Isolation als Lebensweise vor. Die Zwillinge Elena und Ilona, deren ältere Schwester Nadja sowie der körperlich behinderte Albert scheinen sich ganz und gar auf dieses Leben eingelassen zu haben. Obwohl sie in der normalen Welt wohl kaum zu recht kommen würden, fühlen sie sich ihr überlegen.

Ebenfalls anwesend ist Nadjas verflossener Liebhaber Roberto. In diese illustre Gesellschaft führt sie nun ihren neuen Freund ein: Florian, von Beruf Traumdeuter. Der fühlt sich zunächst recht unwohl. Als Fremder wird er zwar höflich begrüßt, aber jedes seiner Worte wird von den anderen argwöhnisch analysiert.

Geistige Gleichschaltung

Die Gespräche in dieser Runde machen deutlich, woran die heutige Zeit krankt. Die moderne Schnelllebigkeit wird als Seelenräuber ausgemacht. Aus diesem Grund errichten die Geschwister eine Gegenwelt zu der ihnen verhassten Gesellschaft aus Blendern, Angebern und Menschen, die nur nach Gewinn und persönlichen Vorteilen streben.

Merkwürdig ist diese Diskussionsrunde: Alle denken auf dieselbe Art und scheinen auf eine unsichtbare Weise mit einander verbunden zu sein. Doch kaum einer der Anwesenden unternimmt den Versuch, etwas an der gesellschaftlichen Situation zu verändern.
Beabsichtigte Ironie dieser Konstellation: Der so hart kritisierten Zeit wird keine lebbare Alternative entgegen gestellt, außer die der absoluten Isolation und der geistigen Gleichschaltung. Eben das wird der geistigen und elitären "Möchte-Gern -Runde" zum Verhängnis. Denn ihr entspringt genau jene entindividualisierte Denkweise, die sie kritisiert. Ohne Widerrede und Meinungsverschiedenheiten ist jeglicher intellektueller Austausch dahin.

Unerhörte Begebenheit

Wie der Untertitel andeutet, handelt es sich um eine Novelle im klassischen Sinn. Da darf die unerhörte Begebenheit nicht fehlen. Die abrupte Wendung vollzieht sich in der äußeren Handlung. Die Geschwister nehmen die ausgestoßene Mutter wieder in ihrer Mitte auf. Mit deren Rückkehr verändert sich die Stimmungslage und lässt alles wie ein Traum erscheinen.

Es ist ein anstrengender philosophischer Text auf hohem Niveau. Das Zuhören erfordert Konzentration, will man dem Gespräch über das Bewusstsein in der modernen und schnelllebigen Zeit im Einzelnen folgen. Leicht könnte man den Faden verlieren. Und es wäre zu schade, wenn der Sinn dieser feinsinnigen Sätze im Dunkeln bliebe. Dass am Ende noch Fragen offen bleiben, tut der Sache keinen Abbruch. Nicht nur für Botho-Strauß-Liebhaber empfehlenswert!

Hörbuch: Botho Strauß: Die Unbeholfenen, Bewusstseinsnovelle, gesprochen von Michael Krüger, Hoffmann und Campe 2008, 24, 95 Euro, ISBN-13: 978-3455305562

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