Kultur

„Bei uns heißt sie Hanka“: Wie Sorb*innen sich selbst entdecken

Man wollte sie assimilieren, entrechten und vertreiben. Trotzdem haben sich Sorb*innen eine eigene Sprache und Kultur bewahrt. Der Dokumentarfilm „Bei uns heißt sie Hanka“ zeigt die Vielschichtigkeit sorbischen Lebens (fast) jenseits der Klischees. 

von Nils Michaelis · 19. April 2024
Eine traditionelle sorbische Hochzeit in der Lausitz

Eine traditionelle sorbische Hochzeit in der Lausitz: Für Hanka und Ignac (Bildmitte)  ist Brauchtum mehr als Folklore.

Sorb*innen sind als ethnische Minderheit in Deutschland offiziell anerkannt. Sie besitzen eine eigene Flagge und Hymne. An vielen Schulen in der Ober- und Niederlausitz, wo die meisten Sorb*innen leben, ist Sorbisch Unterrichtssprache. Dennoch werden sie außerhalb ihrer Community noch immer vorwiegend über stereotype Zuschreibungen wahrgenommen. Als da wären die ländliche Frauentracht mit Hauben oder bemalte Ostereier.

Was macht einen oder eine eigentlich zum Sorben oder zur Sorbin? Was bedeutet es, Teil dieser slawischen Minderheit zu sein? Der Dokumentarfilm „Bei uns heißt sie Hanka“ erzählt davon, wie Menschen den sorbischen Teil ihrer Identität entdecken, erforschen und pflegen.

Hierfür hat sich die Filmemacherin und Autorin Grit Lemke („Gundermann Revier") auf Spurensuche begeben. Und zwar auch in ihrem eigenen Leben. Die 1965 geborene Künstlerin wuchs „komplett deutsch“ in Hoyerswerda auf, wie sie von sich sagt. Dennoch sieht sie sich auch als Sorbin. Diese doppelte Verwurzelung teilt sie mit vielen Menschen, denen wir vor der Kamera begegnen. Deren Geschichte ist somit auch Grit Lemkes Geschichte.

Spurensuche im eigenen Leben

Dieser enge persönliche Bezug gibt dem Film mehr als eine bloße Färbung. Lemkes Blick lebt von einer unverstellten Klarheit, die dennoch Raum lässt für die besondere Atmosphäre von Landschaften und Begegnungen. Ihre Selbsterkundung in dem Landstrich zwischen Bautzen, Cottbus und dem Spreewald verknüpft sie mit der Identitätssuche ihrer Gesprächspartner*innen. Es geht um Wurzeln und Muttersprache. Aber auch um Kolonialismus und Ausgrenzung.

Im Mittelpunkt steht Anna, sorbisch: „Hanka“. Lange Zeit hatten ihre sorbischen Wurzeln für sie keine Bedeutung. Bis sie den Bauernsohn Ignac traf und mit ihm in eine gemeinsame Zukunft startete. Ihre Hochzeitsfeier in einem Dorf bildet einen weiteren roten Faden dieser Erzählung. Als progressive Jungbäuer*innen sind sie ganz im Hier und Jetzt verortet. Mit ihrem ritualisierten Fest bedienen sie wiederum das, was viele Außenstehende mit sorbischem Traditionalismus verbinden. Der vor der Kamera konsequent Sorbisch parlierende Ignac scheint all dies aber gut unter einen Hut zu bekommen. 

Brüche in Mensch und Landschaft

Grit Lemke macht deutlich, dass sich Brüche in sorbischen Identitäten auch in den Bruchstellen der sie umgebenden Landschaft widerspiegeln. Der Braunkohletagebau hat die Gegend im Südosten Brandenburgs und in Ostsachsen brutalstmöglich verändert. Tagebaue haben Dörfer und Wälder verschlungen und fressen sich noch immer durch den Lausitzer Sand. Das Ende der Braunkohle ist absehbar. Was danach kommt, bleibt skizzenhaft. 

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Einer, der sich damit auskennt, ist Jurij Koch. Der bekannteste sorbische Schriftsteller hat sich immer wieder kritisch mit der Braunkohlewirtschaft und ihren Folgen für Mensch und Umwelt beschäftigt. Er sieht sich als Sorbe und als Deutscher. Welche Hindernisse er auf seinem Weg zu diesem Selbstbild zu überwinden hatte, lässt uns der 87-Jährige auf eindringliche Weise wissen. 

Wie man sich vom politisch ganz rechten Rand in eine entgegengesetzte Richtung entwickeln kann, zeigt das Beispiel von Martin (sorbisch: Měto). Als Jugendlicher war er Teil der braunen Szene im Großraum Cottbus. Durch einen Zufall entdecke er sein Sorbisch-Sein und alles wurde anders. Auch er malt noch an dem Bild seiner Identität oder Identitäten.

Kritischer Blick auf die Heimat

„Bei uns heißt sie Hanka“ ist kein Film über „die Sorben“, jedenfalls nicht im Sinne eines ethnografischen Rundumschlages. Vielmehr vermittelt uns Grit Lemke, die auch in dem Buch „Kinder von Hoy. Freiheit, Glück und Terror“ ihre Heimatregion analysierte und porträtierte, die Vielfalt sorbischer Lebenswelten. Nicht jede Beschreibung bringt den erhofften Erkenntnisgewinn auf ganzer Linie. Doch das Fragmentarische deckt sich gut mit dem Anliegen dieser sehr subjektiven Erzählung. 

Zugleich ist der erste abendfüllende Kinofilm über diesen Themenkomplex ein Porträt des Transformationsraumes Lausitz mit all seinen besonderen Befindlichkeiten. In beiden Fällen beweist Grit Lemke, dass ein persönlicher Bezug zum Thema kein Hindernis sein muss, um dieses gegen den Strich zu bürsten und mit damit verbundenen Vorurteilen aufzuräumen.

„Bei uns heißt sie Hanka“ (Deutschland 2023), ein Film von Grit Lemke, mit Anna-Rosina (Hanka) Wjeselina/Wjesela, Ignac Wjesela, Měto/Martin, Jurij Koch u.a., 92 Minuten

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