Kultur

Auszeichnung des Nachdenklichen

von Dagmar Günther · 24. April 2008
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Ein Bündel von Erzählungen, ein durch zwei Gedichte ebenso durch eine großzügige Gestaltung erweitertes Erzählungsbändchen nennt der Laudator Christoph Hein das Büchlein "Das Mittagsmahl". Er hebt hervor, wie der Autor Volker Braun hier wie in vorherigen Büchern seine sprachliche Meisterschaft unter Beweis stellt und sich als "verlässlicher Chronist" erweist. "Aktuelle Meldungen zum Stand der deutschen Gesellschaft" seien zu erwarten und zu erhalten gewesen. Der Autor sei keine private Person und selbst, wo es sich scheinbar um ein Privatissimum, um Nachrichten aus der Familie Braun handele, käme Politisches ins Kalkül in weltumspannender philosophischer Zuspitzung.

Bei Volker Braun, dem am 23.April - dem Welttag des Buches und des Urheberrechts - in den Räumen von verdi in Berlin mit dem ver.di-Literaturpreis in der Sparte Prosa Berlin-Brandenburg Ausgezeichneten, handelt es sich um keinen Unbekannten. Er hat sich seit Jahrzehnten in Deutschland als Lyriker, Dramatiker und Prosaautor einen Namen gemacht. Ausgezeichnet wurde er unter anderem im Jahr 2000 mit dem Georg-Büchner-Preis. Berühmt ist er für seine knappe Sprache, die dem Denken in vielerlei Assoziationen Raum gibt.

Der Dichter Volker Braun spricht in Bildern, die haften bleiben und Erinnerungen hervorholen. Seine Mutter sei die heimliche Heldin seines neuen Buches "Das Mittagsmahl" meint der Prosaautor und Dramatiker Christoph Hein. Ist sie das? Hört man Braun lesen, möchte man meinen, das Nachdenkliche selbst sei das, was durchgängig im Mittelpunkt stünde. Seine schmalen Sätze umreißen Erfahrungen von Generationen mit dem Leben und dem Sterben. Ideologisches wird endlich klein vor dem Gang in die Tiefe kreatürlicher Erfahrung. Die vom Leben gebeutelte, nach dem Kriegs-Tode des Vaters fünf Kinder allein durchbringende Mutter besetzt allerdings eine feste Position darin.

So wie Brauns Werk nicht in Schubladen einzuordnen ist, ist es auch seine Rede an diesem Abend nicht. Er greift auf, was kurz zuvor verdi-Landeschefin Susanne Stumpenhusen in ehrenden Worten zum Verhältnis von Gewerkschaft und Kultur gesagt hat, hinterfragt den Gedanken, dass die Gewerkschaft auch engagierter Sachwalter der Interessen von Kulturschaffenden sein wolle, auf seine Bedeutung für Kultur und Gesellschaft, für Gesellschaft und Politik. Als Spiegelbild der Gesellschaft kennzeichnet er die große Gewerkschaft. Wo es Gewerkschaften um elementare Rechte ginge, sei Kultur das nächstliegende und "der unbedienstete Autor als klassischer Niedriglöhner" bringe im Verhältnis zu den Handelnden den Blick der Arbeitslosen mit ein, meint er. Zwischen dem Handeln für die halbe, von der Arbeit leben könnende Gesellschaft und dem Schreiben für die halbe, Geld für Bücher ausgeben könnende Gesellschaft mag er andere zu berücksichtigende Felder nicht übersehen.

Den 1939 in Dresden geborenen und in Berlin lebenden Autor zeichnet eine Dialektik des Denkens aus, die allen Wandlungen Stand zu halten vermag. Gerade dadurch spürt er, wo Veränderungen notwendig und ersehnt, wo sie gefürchtet werden. Wer Volker Braun liest, sehnt sich nicht nach leichter Kost, sondern sucht das Nachdenkliche. Schön, dass am Welttag des Buches dieses Nachdenkliche geehrt wird.

Dorle Gelbhaar

Volker Braun "Das Mittagsmahl" Insel- Bücherei Nr. 1289, Insel-Verlag 2007, 66 Seiten, 11,90 Euro, ISBN978-3-458-19289-3.

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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