Kultur

„Aufbruch in Libanon“

von Fréderic Verrycken · 24. April 2006

Der Autorin ist mit diesem Buch eine spannende und lebendige Beschreibung des widersprüchlichen Alltags im heutigen Libanon gelungen. Die politische Situation des Zedernstaates lässt sie sowenig aus wie das Beiruter Nachtleben, Ausflüge, Kultur, die Rolle der Frau, Umweltschutz und Esoterik. Die Berichte spiegeln die Erfahrungen der Verfasserin wider, die sie als Reporterin der libanesischen Tageszeitung Daily Star gesammelt hat.

Eine liberale und gespaltene libanesische Gesellschaft

Der Libanon verfügt über ein liberales politisches und gesellschaftliches Klima. Gründe hierfür sieht Hannah Wettig u.a. in seiner geografischen Lage, seiner religiösen und kulturellen Heterogenität und in seinem auf Ausgleich bedachten pluralistischen politischen System, das bereits 1926 unter französischem Mandat entstand.

Seine gesellschaftliche Heterogenität wurde jedoch in den 70er Jahren zunehmend zum Problem für den jungen Staat. Gesellschaftliche Gruppen bedienten sich der in der arabischen Welt vorhandenen Ideologien und Interessen, die im libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 unmittelbar aufeinander prallten, so Wettig.

In den Mittelpunkt des weltweiten Interesses rückte der Libanon wieder seit Ende des Bürgerkrieges im Februar 2005, nach dem Attentat auf den früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri und der sich daran anschließenden Protestbewegung

Die Wahrung des Gleichgewichtes zwischen den achtzehn vorhandenen Konfessionen hat heute wieder Priorität. Der Präsident ist Maronit, der Premierminister Sunnit und der Parlamentssprecher Schiit. Diese Regelung basiert auf einem mündlich beschlossenen Nationalpakt aus dem Jahr 1943 und dem so genannten Taif-Abkommen, das den Bürgerkrieg 1989 beendete, wie die Autorin erklärt.



Libanesische Presse - die freieste in der arabischen Welt

Die Presse in Libanon ist laut Wettig die freieste in der arabischen Welt. Sie berichtet von ihren Erlebnissen im journalistischen Alltag, zählt aber auch verschiedene Einschränkungen für eine ungehinderte journalistische Arbeit im Libanon auf.

So seien Themen wie Israel, der Holocaust und Antisemitismus heikel. Die Autorin berichtet, wie die Beiruter Zensurbehörde dem Daily Star den Abdruck eine Großanzeige einer jüdischen Organisation über weltweiten Antisemitismus untersagte. Aber auch bei Äußerungen über Syrien mussten Libanesische Journalisten noch bis zum Frühjahr 2005 vorsichtig sein. So schreckte die syrischen Machthaber nach Angaben der Verfasserin nicht vor einem Selbstmordanschlag gegen die größte Tageszeitung des Libanon, An-Nahar zurück.

Auch die Struktur der libanesischen Medienlandschaft bewertet Hannah Wettig als problematisch für die journalistische Freiheit. "Alle Sender des Landes werben für die politischen Interessen ihrer Eigentümer." Die Familie des bis Oktober 2004 regierenden Premierministers Rafik Hariri, die des Parlamentssprechers Nabih Berri, die Hisbollah und die kommunistische Partei, jeder von ihnen unterhält seine eigene Fernsehanstalt. "Jeder hat irgendwo in der Regierung einen Verbündeten oder zumindest einen Feind des Feindes." "Jede Firma, jede Galerie, jedes Restaurant (konnte) einem Bekannten eines Bekannten unseres Chefs gehören, " erläutert die Journalistin die Lage.

Das Buch enthüllt eine Fülle von weiteren Besonderheiten des Alltags in der libanesischen Gesellschaft. Es ist spannend zu lesen für jeden der mehr über den Libanon erfahren möchte.

Karin Müller



Hannah C. Wettig: Aufbruch in Libanon. Auf dem Weg zur Zedern-Revolution: Reportagen aus Beirut. Vorwärts buch GmbH Berlin 2005, 261 Seiten, 26 Euro, ISBN 3-86602-922-5

Autor*in
Fréderic Verrycken

Chefredakteur der DEMO, Fraktionsvorsitzender der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf

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