Kultur

Atemlos im Hamsterrad

von Dagmar Günther · 22. Juli 2011
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Eigentlich sind sie alle doch nur auf der Suche nach ein bisschen Glück. Doch letztlich müssen sie dem schnöden Mammon nachjagen, um zu überleben. Sie nehmen dabei das Risiko in Kauf alles zu verlieren: ihre Gesundheit, ihre Traumberufe, ihre Familien und ihre Liebe.

Der Weg ins "Jenseits"
Schon lange will Shep aus dem amerikanischen Way of Live aussteigen. Auswandern, irgendwohin nach Afrika, wo er mit ein paar Dollar im Monat den Lebensunterhalt seiner Familie bestreiten kann. Immer wieder sucht er sein "Jenseits", wie er jenen Ort nennt. Mit dem Verkauf seiner Firma will er den Traum vom einfachen Leben verwirklichen. Er reist mit seiner Ehefrau Glynis in die entlegendsten Winkel, um sie von seiner Idee zu überzeugen. Doch sie glaubt nicht an sein "Jenseits". Ohnehin gibt es immer wieder Gründe, den Ausstieg zu verschieben. Als Shep endlich den unwiderruflichen Entschluss fasst, gesteht Glynis ihm, dass sie an Krebs erkrankt ist. Nun wird sein Traum Makulatur, denn das Geld wird für die Behandlung gebraucht.

Bei Jackson und Carol passen Einkommen und Ansprüche nicht zusammen. Kreditkartenschulden häufen sich. Die Kosten explodieren, denn zur Familie gehört auch ein Kind mit einer seltenen Erbkrankheit. Jackson fühlt sich unzulänglich, weil er sich und damit seine Ehe ausschließlich über seine Manneskraft und seine finanziellen Möglichkeiten definiert. Für ihn, der seine Familie über alles liebt, gibt es nur einen Ausweg - und der endet in einer Katastrophe.

Im Angesicht des Todes
Vieles wäre so viel einfacher, wenn alle miteinander reden würden. Nicht über das, was sie im Leben alles so aufregt, sondern das, was sie wirklich bewegt. Erst im Angesicht des Todes öffnen sie sich. Und so gibt es am Ende für die Überlebenden so etwas wie ein bizarres Happyend.

Die Autorin, die schon zwei Bestseller veröffentlicht hat, begleitet ihre Romanfiguren liebevoll und legt sie gleichzeitig sehr nüchtern unter ihr Mikroskop. Sie lässt sie den Lesern ans Herz wachsen - mit ihrer Tapferkeit und Wärme, aber auch ihrer Ausweglosigkeit und ihrem Versagen.

Eine tiefgründige Kritik des US-Gesundheitssystems, wo gierige Ärzte in hoffnungslosen Fällen astronomische Rechnungen schreiben. Und eine einzigartige Erzählung über das atemlose Leben des Bürgertums im Hamsterrad.


Lionel Shriver: "Dieses Leben, das wir haben", übersetzt von Monika Schmalz, Piper Verlag, München 2011, 541 Seiten, 19,95 Euro ISBN 9783492054416

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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