Kultur

Angstfrei vor denen da oben

von Jörg Hafkemeyer · 20. November 2013

Er hat seinen Freund und „Genossen im Geiste“ Peter Ensikat nur um acht Monate überlebt: Dieter Hildebrandt ist tot. 

Der wichtigste und beste Kabarettist Deutschlands ist 86 Jahre alt geworden und wie Ensikat ist er an Krebs gestorben. Man will es nicht glauben. Wer ihn erlebt hat im Fernsehen, auf der Bühne, im persönlichen Gespräch ist fassungslos, spürt, mit seinem Tod ist etwas Unwiederbringbares zu Ende gegangen. Er hat in den konservativen, verstaubten 50er und 60er Jahren den Menschen in der Bundesrepublik etwas gezeigt, was sie nicht kannten, viele auch nicht wollten: 

Unabhängiges Denken und Sprechen, angstfrei vor denen „da oben“, spottend, kalauernd als politisch – literarischer Kabarettist. In der Tradition eines ganz Großen dieses Genres: In der von Werner Fink. Diesen Meister des Weglassens, des Abbrechens, des stammelnden, nuschelnden Sprachkünstlers, der schließlich in einer Pointe alles Gewirr entwirrte und wieder zusammenfügte.

„Denn sie müssen nicht, was sie tun“

Fink war Hildebrandts großes Vorbild. Fink ist mit seinem Programm „Bewältigte Befangenheit“ noch in der ersten Hälfte der 60er Jahre in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft aufgetreten, die Dieter Hildebrandt zusammen mit Sammy Drechsel 1956 gegründet hatte. Hildebrandts Soloauftritte dort wurden legendär. Wenn die Programme im Fernsehen übertragen wurden, lagen die Einschaltquoten bei 50 Prozent. Zusammen mit Wolfgang Gruner und den „Berliner Stachelschweinen“ waren die Sylvesterabende im Deutschen Fernsehen ein Muss für das Publikum.

Am 12. Dezember 1956 trat Hildebrandt gemeinsam mit Ursula Noack, Klaus Havenstein und Hans-Jürgen Dietrich mit dem ersten Programm „Denn sie müssen nicht, was sie tun“ vor voll besetzten Haus in der Schießgesellschaft auf. Noch heute sind die Aufnahmen von einer umwerfenden Intelligenz, Komik und Scharfzüngigkeit. Die hat sich Dieter Hildebrandt bis in die letzten Jahre erhalten. Viel geehrt und ausgezeichnet.

Elegante Komik und anhaltender Spott

Für so viele Programme, für so viele Sendungen, die hier alle gar nicht zu erwähnen sind. Ob es „Die Notizen aus der Provinz“ oder der „Scheibenwischer“ waren, um nur zwei Beispiele zu nennen. Umwerfend auch seine Auftritte mit Werner Schneyder von 1974 bis 1982 im „Autorenkabarett“. Gehasst und verachtet von den Konservativen in Deutschland, allen voran Franz-Josef Strauß, der ihm „eine echte politische Giftmischerei“ vorwarf, blieb Hildebrandt immer ein „realistischer Optimist“. Ein bescheidener, herzensguter Mann. Ein großer Humanist. Der immer wieder mit ausgelassener Ausdauer die Finger in die Wunden der deutschen Gesellschaft gelegt hat. Mit fröhlicher Unnachgiebigkeit. Mit eleganter Komik und mit anhaltendem Spott. Alles das wird uns fehlen.

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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