Kultur

Am Ende der Welt spricht man mehrere Sprachen

von Dagmar Günther · 12. Oktober 2007

Die Gemeinschaft derer, die im Dorf Tor an der Grenze zwischen Spanien und Andorra leben, wird von rohen Kräften beherrscht und immer geht es diesen um den Besitz des Berges von Tor. Monate nachdem Sansa, einer der drei das Leben hier beherrschenden Alten in einem Prozess zum Eigentümer des Berges erklärt wurde, wird er ermordet. Ein Journalist fertigt einen kurzen Fernsehbeitrag dazu. Er erregt Aufsehen. Nun soll er für eine größere Sendung recherchieren und stellt dabei fest, dass er sich auf ein gefährliches Unterfangen eingelassen hat.

Der 1963 geborene Autor des vorliegenden authentischen Buches Carlos Porta ist ebenfalls Journalist. Acht Jahre hat er Material zum Geschehen gesammelt. Und begab sich damit in mehrfacher Hinsicht in Grenzbereiche seiner Heimat. Selbst als Kriegsberichterstatter in Bosnien, Ruanda, Haiti, Algerien, Kosovo, Israel und Pakistan tätig gewesen, ist seine Sprache nicht die eines Abenteurers, sondern die eines Mannes, der weiß, wie schwierig es ist, Menschen in Krisenzeiten Wissen um gravierende Vorgänge zu entlocken - vor allem, wenn sie selbst davon betroffen sind.

Es gibt keine billigen Sensationen, stattdessen am Ende des Buches Bilder (Skizzen) zu den Handlungsorten und einen kurzen Abriss zur Eigentums-Geschichte des Berges. Dazu gehören auch biographische Notizen zu damit befassten Personen.

Authentisches hat Konjunktur

Die Frage, ob etwas denn wirklich passiert sei, bewegt die Gemüter ganz besonders, wenn ein Mord geschehen ist und die ganze Kulisse des Handlungsortes suggeriert, dass es jeder gewesen sein könnte.

Merkwürdig ist nur, dass das Erzählen in diesem Buch etwas so Zähes, Schleppendes hat. Dabei entspricht der Gang der Handlung dem der Recherche und deckt Ungereimtheit um Ungereimtheit auf. Für den Interviewer und seine Kollegen wird es manches Mal gefährlich. Trotzdem will sich kein Gefühl der Spannung einstellen, eher ein beschauliches Verfolgen des Fortlaufs des Geschehens.

Das reine Abbild hat seine Tücken. Es mag im Filmischen seine Dramatik adäquat der Dramatik der Wirklichkeit entfalten. Das geschriebene Wort verlangt nach dem Verdichten, zumal, wenn es wie hier schon von der Genrebezeichnung her, vom Anspruch her also, ein Roman sein will, ein Tatsachenroman, nun gut, aber doch ein Roman.

Vielleicht ist es aber gerade das. Mit niemandem kann man sich hier wirklich identifizieren. Die Verhältnisse sind grausam und unüberschaubar. Man arrangiert sich. Man sucht nach Lücken. Das Team der Reporter richtet Kamera und Mikrophon auf das Dorf, das für einen Augenblick aus dem eisigen Nichts auftaucht.

Es ist eine Geschichte darum, wie das Streben nach alleinigem, uneingeschränktem Besitz - hier über den Berg Tor - den Charakter von Menschen verändert. Aus Freunden werden Feinde, die sich im wahrsten Sinne des Wortes bis aufs Blut streiten. Eine Dorfgemeinschaft, aus der einst die Gesellschaft der Miteigentümer des Berges Tor hervorging, verliert ihre Kultur und all ihre Fröhlichkeit. Sie wird von grausamen, alten Männern regiert. Als Sansa ermordet wird, trauert niemand. Nicht einmal die "Hippies", denen er Unterschlupf geboten hat. Jedenfalls wird nichts davon berichtet. Nur die Gewalt geht weiter.

Jede der Gestalten, von deren Existenz wir im Buch erfahren, hat ihre eigene Gefühlswelt, lebt in einer schwierigen, ausweglos erscheinenden Situation. Das Ganze ist eingebunden in politische Welten, wie sie gegensätzlicher kaum sein können. Selbst ein Anwalt, der offenbar noch der Zeit Francos hinterhertrauert, gerät ins Bild. Von Schmuggel, Waffenschmuggel auch, ist die Rede, und immer wieder von Gewalt, die es unmöglich macht, das Recht durchzusetzen.



Kaum Zugang zu den Akteuren


Doch die Leser haben kaum eine Chance, die handelnden Personen wirklich kennen zu lernen. Selbst über den Ich-Erzähler, den Reporter, erfährt man wenig. Er will seine Story erzählen, will einen der begehrten 30-Minüter fürs Fernsehen produzieren und ist offensichtlich ein integrer Mensch, der sich von Gewalttaten, faschistischer Vergangenheit und Radikalismus abgrenzt.. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, mehr über ihn zu wissen.

Auf katalanisch und auf spanisch wird in den Interviews versucht, Zugang zu den Akteuren des Dramas zu finden, das sich um den Berg Tor abspielte und abspielt. Sansas Mörder zu finden, gelingt nicht Obwohl die jeweils verwandte, Vertrauen schaffende Sprache die Situation jeweils für Momente etwas entspannen kann. Hätte es etwas geändert, wäre der Mörder entlarvt worden, wo Gewalt den Alltag bestimmt? Die Ungewissheit belastet und man weiß nicht, was von dem von den Leuten Erzählten wirklich stimmt.

Die Skizze am Ende des Buches wirkt in diesem Sinne wie ein Aufschrei, das Dorf nicht allein zu lassen, es wieder aufzusuchen und endlich die zivilen Verhältnisse wiederherzustellen.

Dorle Gelbhaar

Carles Porta "Tor. Das verfluchte Dorf", Aus dem Katalanischen von Charlotte Frei, Berlin Verlag 2007, 22,00 Euro, ISBN 978-3-8270-0757-5

Autor*in
Dagmar Günther

war bis Juni 2022 Chefin vom Dienst des vorwärts.

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