Dabei sieht Hans-Jürgen Urban, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, die Probleme sehr genau. Nicht allein der demographische Wandel, auch die hohe Arbeitslosigkeit und die
sinkenden Einkommen höhlen die gesetzliche Altersversicherung aus. Die Polemik von der "Hängematte", in der sich Leistungsempfänger ausruhen könnten, hat die sozialen Sicherungsnetze verunglimpft
und den Rückbau des Sozialstaats eingeleitet. Weitere Einschnitte, prophezeit der Gewerkschafter in seinem Buch "Der Neue Generationenvertrag", werden bald nötig sein.
Dabei habe man sich die Einnahmeausfälle selbst zuzuschreiben. Fast eine Million Vollzeitjobs sind seit der Agendapolitik durch Teilzeit-, Mini- und Ein-Euro-Jobs sowie Leiharbeit ersetzt
worden. Der Niedriglohnsektor sorgt dafür, dass immer weniger Anwartschaften erworben werden. Und die Versorgungslücke, die dadurch entsteht, können Geringverdiener nicht schließen.
Verpflichtende Betriebsrenten
Her müsse, so Urban, ein "Neuer Generationenvertrag". Die Basis der Einzahlung sollte es durch die Einführung von Mindestlöhnen verbessert werden, die Tarifpolitik sich ändern. An die
Stelle der Rente mit 67 müsse eine flexible Verrentung treten, die Jüngeren den Berufseinstieg ermögliche. Statt einer Teil-Privatisierung der Altervorsorge schlägt Urban vor, Betriebsrenten
auszubauen. Auf keinen Fall dürfe der Arbeitgeber aus der Verantwortung entlassen werden. So müssten die Betriebsrenten obligatorisch werden, der Arbeitgeber wenigstens zur Hälfte an den
Beiträgen beteiligt werden. Es gelte, die Anlagepolitik durch Vorschriftenzu regeln und die Insolvenzsicherheit der Einlagen zu gewährleisten.
Sofortpacket Beschäftigungsbrücke
Selbstständige müssten in die Rentenkasse mit einbezogen werden und Anwartschaftslücken wegen Arbeitslosigkeit, Kindererziehung, Pflege oder Ausbildung sollten nach dem Solidarprinzip
geschlossen werden - aus Steuermitteln. Beim Rentenbezug müsse die Beitragsgerechtigkeit gewährleistet werden. Die Rente müsse also abhängig vom eingezahlten Betrag sein. Als Grundsicherung
veranschlagt Urban 440 Euro plus Unterkunft und fordert ein "Sofortpacket Beschäftigungsbrücke". Dazu gehört ein abschlagsfreier Rentenzugang mit 60 und eine verlängerte Bezugsdauer von ALG I für
Ältere von bis zu 36 Monaten.
Der Beitragssatz müsste sich bei Umsetzung aller Maßnahmen auf nicht mehr als 24 Prozent erhöhen, rechnet Urban vor. Zuviel. So richtig Urbans Beobachtungen sind, so wenig lassen sich seine
Forderungen politisch umsetzen. Das Mantra von der Lohnnebenkostensenkung hat die Politik schon in den letzten Jahren dazu gebracht, die Beiträge unter 20 Prozent zu drücken.
Große Mehrheit gegen Rente mit 67
Urban und seine Mitherausgeber Christoph Ehlscheid und Axel Gerntke haben in ihrem Thesenbuch eine ganze Reihe weiterer Beiträge versammelt, die Aspekte des Themas diskutieren. Den "Folgen
der Finanzkrise für die Privatisierung der Rentenversicherung" nimmt sich etwa Richard Detje, Redakteur der Zeitschrift "Sozialismus" an. Werner Lohre fragt in seinem Beitrag "Betriebsrenten für
alle?" und Johannes Schaller plädiert für "Flexible Altersübergänge statt Rente mit 67". Beide sind Gewerkschaftssekretäre beim Vorstand der IG Metall.
2009 befragte die IG Metall 450 000 Beschäftigte. 80,9 Prozent von ihnen forderten, dass die Rente mit 67 zurückgenommen werden solle. So lange diese Menschen ihren Willen zur Umkehr aber
nicht auf dem Stimmzettel zum Ausdruck bringen, wird es keine Trendumkehr geben.
Hans-Jürgen Urban/ Christoph Ehlscheid/ Axel Gerntke (Hrsg): "Der Neue Generationenvertrag", VSA Verlag, Hamburg 2009, 262 Seiten, 16,80 Euro, ISBN-13: 978-3899653694
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