Auf den ersten Blick mutet es grotesk an: Während der Tschad im Bürgerkrieg versinkt, klammert sich Adam (Youssouf Djaoro) an seinen Job als Aufseher eines Hotel-Schwimmbeckens. Der Pool ist sein Leben. Und der Konflikt, so scheint es, weit weg. Als ein chinesischer Investor die Nobelherberge übernimmt, wird der Mittfünfziger zum Parkplatzwächter degradiert. Langjährige Kollegen landen auf der Straße.
Von nun an patrouilliert Adams Sohn Abdel (Diouc Koma) im weißen Dress am Beckenrand. Kurz darauf wird er in die Armee gepresst, um die auf die Hauptstadt N'Djamena vorrückenden Rebellen zu bekämpfen. Adam lässt es geschehen. Nun trägt er wieder weiß. Doch nichts bleibt so wie es war. Als sich Adam entschließt, Abdel aus den Fängen der Regierungstruppen zu befreien, ist es zu spät. Trotzdem finden Vater und Sohn vor mystischer Kulisse zusammen.
Konkurrenz um gesellschaftliche Anerkennung, soziale Abstiegsängste und Sinnkrisen jenseits der 50: Wer genau hinsieht, merkt, dass Regisseur und Drehbuchautor Mahamat-Saleh Haroun Probleme thematisiert, wie sie in jeder Gesellschaft vorkommen. Diese Gemeinsamkeit vor dem Hintergrund eines Landes am Abgrund herauszuarbeiten, ist das größte Verdienst dieses Films. Was nicht zuletzt der behutsamen Erzählweise zu verdanken ist: In all ihrer Kargheit verdichtet sie Existenzfragen, die so global sind wie der Streit um Bodenschätze, der auch im Tschad tobt.
Insofern reicht Adams Geschichte weit über Afrika hinaus. Jener Familienvater könnte als einer der verschwiegensten Protagonisten in die Filmgeschichte eingehen. Quälend lange Halbtotalen zeigen sein Gesicht, wenn er unterm Sonnenschirm über die Irrungen und Wirrungen seines Lebens sinniert oder, von Reue gebeugt, auf eine Nachricht von seinem Sohn wartet. Dass er gegen etwas anschreit, ist weniger zu sehen als zu spüren. Als ob er die Sprache um das, was ihn bewegt, auszudrücken, erst noch finden muss. Ziel seines Protests sind nicht etwa Aussichtslosigkeit oder Gewalt. Es ist das Schweigen Gottes.
Darauf bezieht sich auch der Filmtitel, der sich aus einer Verszeile des afrokaribisch-französischen Autoren und Poltikers Aimé Césaire ableitet: "Un homme qui crie n'est pas un ours qui danse" (Ein Mann, der schreit, ist kein Bär, der tanzt). Césaire gilt als einer der Mitbegründer der Nègritude, einer literarisch-philosophischen Strömung, die auf eine kulturelle Selbstbehauptung Afrikas und der Afrikaner abzielt.
Jenes Streben nach Autonomie und Authentizität zieht sich auch durch diesen Film. Beherrscht zunächst der soziale Status Adams Denken, geht es am Ende darum, den Mikrokosmos Familie zu erhalten. Knatternde Hubschrauber und Radiomeldungen wecken die zugespitzte militärische Situation zunächst unterschwellig in Erinnerung. Doch je näher die Rebellen heranrücken, desto stärker bestimmt die Bedrohung die Szenerie. Den schleppend inszenierten Plot, der eher von starken Bildern als von Dialogen lebt, prägt eine permanente, sich steigernde Spannung.
Übliche Klischees von einem "afrikanischen Chaos" werden vermieden. Statt des evidenten Elends tritt auch hier der Drang nach Selbstbehauptung in den Vordergrund. Insofern wirkt der Blick auf den Alltag in den Slums von N'Djamena etwas verengt - möglicherweise eine Folge der schwierigen Drehbedingungen vor Ort. Andererseits tragen echte Soldaten und Hotelangestellte zur realistischen Atmosphäre bei.
"Un homme qui crie" ist ein bemerkenwertes Drama darüber, wie Krieg und Gewalt trotz individueller Beharrungskräfte das Bewusstsein bestimmen. Gleichzeitig handelt es sich um ein selbstbewusstes Überlebenszeichen des afrikanischen Kinos. Im vergangenen Jahr gewann die französisch-belgische-tschadische Coproduktion den Jurypreis der Filmfestspiele von Cannes.
Für Haroun, der einst vor den Kämpfen im Tschad flüchtete und seit 1982 in Frankreich lebt, ist der Erfolg seines vierten langen Spielfilms gleichermaßen ein Aufbruch. Der 1961 geborene Künstler beklagt die katastrophale Lage für Filmschaffende in seinem Geburtsland. Dennoch kündigte er in einem Interview an, für sein nächstes Projekt, das er erneut in dem zentralafrikanischen Land realisieren will, ausschließlich dort nach Geldgebern zu suchen.