Kultur

Abrechnung mit der Vergangenheit

von Die Redaktion · 8. August 2008

68 - das steht für mehr als für die "Kommune 1", die das Bild der öffentlichen Wahrnehmung prägte. Kraushaar zeigt, wie heterogen diese Bewegung war. Er benennt politische Forderungen der Revoltierenden, so etwa die Beseitigung des vermeintlichen Pressemonopols des Axel-Springer-Verlags. Kraushaar thematisiert das soziokulturelle Experimentierfeld der Generation, wie Kinderläden und Kommunen, und beschreibt dessen Langzeitwirkung sowie den Einfluss auf Nachkriegsdeutschland.

68 war kein deutsches Phänomen. Mit der Hippie-Bewegung in den USA, in der Kraushaar auch das Vorbild für die deutschen Proteste erkennt, mit den März-Unruhen in Polen, dem Pariser Mai und dem Prager Frühling hatte dieser Generationenkonflikt einen globalen Charakter. Deutschland hatte vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit allerdings eine Sonderstellung. Diese bot den Protesten zusätzlichen Zündstoff.

Nicht national, sondern global

Kraushaar begann zu studieren, als der Zenit der Bewegung bereits überschritten war. 1968 nahm er als Zwanzigjähriger sein Politik-, Philosophie- und Germanistik-Studium an der Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main auf. Der heute am Hamburger Institut für Sozialforschung tätige Politikwissenschaftler verlässt in wenigen Abschnitten des Buchs seinen objektiven Standpunkt und nimmt den Blick eines Zeitzeugen ein, der die letzten Nachwehen der Bewegung beobachtete.



Es wirkt fast wie eine Rechtfertigung für seine Abkehr von den 68ern, wenn Kraushaar schreibt, dass ihn später "die Vorherrschaft maoistischer Sekten abschreckte". Dies hinderte ihn dennoch nicht daran, im Herbst 1972 die Sozialistische Hochschulinitiative mitzubegründen. Seinen hochschulpolitischen Höhepunkt durchlief Kraushaar als AStA-Vorsitzender in den Jahren 1974/75. Anschließend folgte ein Lektorat in dem noch vom SDS gegründeten Verlag "Neue Kritik". Aber bereits während seiner Promotion, in der mit der "Spontibewegung" abrechnete, hatte er sich völlig von der Bewegung distanziert.

Nicht kontrovers, sondern darstellend

Diese "Bewegungsferne" wird auch in seiner nun vorliegenden Ausarbeitung deutlich. Kraushaar attestiert der Nachkriegsgeneration mangelnde politische Schlagkraft. Zwei der Kampagnen - die Anti-Springer Kampagne und die Antinotstandsbewegung - hätten ihr Ziel verfehlt. Nur die Anti-NPD-Bewegung sei von Erfolg gekrönt gewesen, da durch die Proteste der Einzug der rechtsextremen NPD in den Bundestag verhindert wurde.

Zu kurz komme auch die Würdigung der soziokulturellen Errungenschaften. Die 68er seien die Vorhut für zahlreiche Bürgerrechtsbewegungen wie die Frauenbewegung gewesen, die alle zu einer wesentlichen Liberalisierung unserer Gesellschaft beigetragen hätten. Erziehung, Wissenschaft, Kirche, Presse und Parteien haben sich entscheidend verändert. Vieles wäre ohne die 68er nie denkbar gewesen.

Kraushaars Ausarbeitung ist ein Konglomerat gesammelter Erkenntnisse. "Der Chronist der Studentenbewegung" liefert allerdings keine neuen Ideen, geschweige denn Kontroversen. "Achtundsechzig" ist eine fundierte Überblicksdarstellung über die einstige Studentenbewegung und leistet eine wesentlichen Beitrag zum vierzigjährigen Jubiläum und zur Erinnerungskultur. Die Frage nach der Deutungshoheit über das Jahr, an dem sich die Geister scheiden, wird allerdings weiter unbeantwortete bleiben.

Anke Schoen

Wolfgang Kraushaar: Achtundsechzig - Eine Bilanz, Propyläen 2008, 19,90 Euro, ISBN 978-3549073346

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