Zehn Jahre Istanbul-Konvention: Giffey in Sorge um Frauenrechte
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Es war das erste international rechtsverbindliche Instrument, das einen umfassenden rechtlichen Rahmen zum Schutz von Frauen vor jeglicher Form von Gewalt schafft: Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch bekannt als Istanbul-Konvention, wird am Dienstag zehn Jahre alt. Bisher haben sie bereits 45 Mitgliedstaaten des Europarats und die EU unterzeichnet, 33 Staaten haben sie ratifiziert. Zehn Jahre nach Annahme der Konvention blieben aber weiterhin „Hindernisse und Herausforderungen“, sagt Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dabei hat der Vertrag einen enormen Stellenwert: Im Kampf gegen jegliche Form der Gewalt an Frauen schafft er verbindliche Rechtsnormen zur Prävention und Bekämpfung.
Franziska Giffey lud deswegen am Dienstag im Rahmen der aktuellen deutschen Präsidentschaft im Ministerkomitee des Europarates zu einer digitale High-Level-Konferenz anlässlich des Jahrestages. Darin sprach sie sich zur Bekräftigung der Istanbul-Konvention nicht nur für den Kampf gegen Gewalt, sondern auch für den Kampf gegen Genderstereotypen aus, die die natürliche Begabung von Frauen und Männern untergraben würden. Giffey lobte außerdem, dass alle Staaten, die bisher unterschrieben hätten, bereits Maßnahmen ergriffen hätten, um die nationalen Sicherheitsvorkehrungen vor geschlechterspezifischer Gewalt zu verstärken. Man könne nicht wegschauen, während Frauen getötet und bedroht würden. Gerade deshalb sei die Bekämpfung der Gewalt an Frauen während der deutschen Präsidentschaft zur Priorität erklärt worden. Weiterhin unterzeichnete Giffey am Dienstag eine Erklärung, in der sie auf die Bedeutung der Istanbul-Konvention hinweist und alle Mitgliedsstaaten des Europarates aufruft, die Konvention schnellstmöglich zu ratifizieren.
Deutliche Kritik an Gegnern der Konvention
Die Notwendigkeit dieser Maßnahme wird mit Blick auf die internationale Entwicklung deutlich. Gerade in Bezug auf den Anstieg von geschlechterspezifischer Gewalt kritisierte Giffey bereits im März „politische Bewegungen“, welche mit „fadenscheinigen Behauptungen“ gegen die Konvention mobil machen würden. Im Hinblick auf die Türkei, die am 19. März 2021 als erstes und bisher einziges Land aus der Konvention austrat, sprach auch Außenminister Heiko Maas (SPD) am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel von einem „absolut falschen Zeichen“. Unterfüttert wird diese Aussage etwa durch die türkische Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“, die im Jahr 2020 über 300 Femizide zählte.
Doch nicht nur der Austritt der Türkei gibt Anlass zur Sorge: Zwar haben von den 47 Europaratsstaaten nur Russland und Aserbaidschan die Konvention nicht unterzeichnet, zahlreiche der Unterzeichner haben das Abkommen aber bis heute nicht ratifiziert. Erheblichen Widerstand gibt es außerdem in Ungarn, Bulgarien und der Slowakei mit Verweis auf Passagen zu Rechten sexueller Minderheiten, die angeblich gegen „traditionelle Werte“ verstoßen. In Polen bemüht sich insbesondere Justizminister Zbigniew Ziobro seit Jahren um eine Rücknahme der Ratifizierung der Konvention, die unter der Vorgängerregierung der amtierenden rechtskonservativen Regierung geschah. Auch Ziobro bezeichnete das Abkommen als „feministische Schöpfung zur Rechtfertigung der homosexuellen Ideologie“.
Unterstützer*innen erheben ihre Stimme
Anlass zur Hoffnung gibt jedoch, dass sich zum zehnjährigen Bestehen auch die unterstützenden Stimmen für die Konvention häufen. So nannte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast die Istanbul-Konvention auf Twitter einen „internationalen Meilenstein“, welchen noch mehr Staaten umsetzen sollten und dessen Auftrag aktuell bleibe.
Anlässlich des 72. Jahrestags der Gründung des Europarats am 5. Mai betonte Außenminister Heiko Maas als Vorsitzender des Ministerkomitees in einer Erklärung gemeinsam mit der Generalsekretärin Marija Pejčinović Burić noch einmal, an der Istanbul-Konvention als Instrument zum Schutz von Frauen und Kindern festzuhalten. Weiterhin rief er die Mitgliedstaaten eindringlich dazu auf, sich für diejenigen einzusetzen, die so oft benachteiligt und vernachlässigt würden.
Corona-Pandemie verstärkt Gewalt gegen Frauen
Die Relevanz, den Kampf gegen Gewalt an Frauen konsequent fortzuführen, zeigt derweil ein Bestandsbericht. Vergangenen Monat veröffentlichte die GREVIO, eine unabhängige Expert*innengruppe des Europarats, einen Bericht zum Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention. Dieser analysiert die in 17 Ländern in Europa geleistete Arbeit von Juni 2019 bis Dezember 2020. Der Bericht zeigt, dass sich während der Pandemie die Gewalt gegen Frauen und Mädchen weiter verstärkt hat. Auch wirke sich die aktuelle Lage negativ auf die Möglichkeiten von Frauen und Mädchen aus, Zugang zu spezialisierten Unterstützungsangeboten für die verschiedenen Formen von Gewalt zu erhalten, die sie erleben können.
Obgleich laut Bericht etwa breitere und stärkere Netzwerke zur Unterstützung von Opfern häuslicher Gewalt entwickelt wurden, sind Angebote für Opfer anderer Formen von Gewalt noch rar. Dazu gehören unter anderem sexuelle Gewalt und weibliche Genitalverstümmelung, aber auch Zwangsheirat und sexuelle Belästigung – diese sind, wenn überhaupt, in „viel geringerer Zahl“ vorhanden. GREVIO sieht hier die Notwendigkeit, für diese Fälle spezialisierte Hilfsangebote einzurichten.