„Wir schaffen keine perfekten, wollen aber akzeptable Wahlen“
Seit Wochen versucht die Unabhängige Wahlkommission Afghanistans die Menschen mit Werbung in Fernsehen und Radio für die Wahl zu gewinnen. "Deine Stimme ist Deine Zukunft" lautet der Slogan,
der Mut machen soll. Gleichzeitig klärt die Kommission auf, Ehemänner dürfen nicht für ihre Frauen abstimmen, auch Stammesälteste haben nur eine Stimme.
Doch Betrug wird sich wohl kaum vermeiden lassen in Afghanistan, das auch ohne die Taliban schon ausreichend Hürden für Wahlen aufweist. "Wir können nicht davon ausgehen, dass es
hundertprozentig freie und transparente Wahlen werden," sagt der Chef der Internationalen Beobachtermission Bill Gallery, "aber wir wollen für Afghanen akzeptable Wahlen ermöglichen." Knapp 8.000
Beobachter wurden ins Land geschickt, um die Abstimmung zu überprüfen.
Experten gehen davon aus, dass drei Millionen von 17,5 Millionen registrierten Wählern nicht existieren. Hunderttausende gefälschter Wahlausweise seien im Umlauf. Auf Märkten werden mehrere
hundert Wahlausweise für je einen Dollar angeboten. Doch die Wahlbeobachter tun ihr Möglichstes.
Taliban drohen jedem Wähler
Die Taliban wollen eine geordnete Wahl verhindern und haben ihre Angriffe landesweit verstärkt. "Wer Wahltinte an seinen Fingern habe, werde dieser abgehackt," so die Terroristen. Die Anzahl
ihrer Attentate ist in den letzten vier Tagen von 32 auf 48 gestiegen, das sind 16 Anschläge pro Tag mehr.
Am Dienstag dieser Woche raste ein Selbstmordattentäter in Kabul in einen Konvoi der internationalen Schutztruppe und riss zehn Menschen in den Tod, 52 wurden verletzt. In der südlichen
Provinz Urusgan kamen bei einem weiteren Selbstmordanschlag sechs Menschen ums Leben, der Täter sprengte sich an einem Kontrollposten der Armee in die Luft. Am Morgen hatten Unbekannte zwei
Raketen auf den Präsidentenpalast abgefeuert. Eine landete im Garten von Präsident Karzai. Niemand wurde verletzt.
Die Unabhängige Wahlkommission geht davon aus, dass 500 von geplanten 7 000 Wahllokalen nicht öffnen können, unabhängige Wahlbeobachter gehen von noch mehr aus. Vor allem in den ländlichen
Gebieten ist unklar, ob gewählt werden kann und wird. Mit Eseln, Pferden und Autos wurden Urnen und Stimmzettel auch in die entlegendsten Bergdörfern gebracht.
Rund 175 000 afghanische Sicherheitskräfte mehr als 60 000 Soldaten der Nato-Truppe ISAF sowie Zehntausende US-Soldaten arbeiten eng zusammen, um die Wahlen abzusichern. Vor allem die
einheimischen Sicherheitskräfte sind gefordert. Afghanische Polizisten sollen vor den Wahllokalen postiert werden, die ISAF-Truppen sollen helfen wenn es zu Anschlagsversuchen kommt. "Trotz der
besten Pläne wird aber immer ein Restrisiko bleiben," so NATO-Sprecher Eric Trembley. Die internationalen Soldaten halten sich auch deshalb zurück, um den Eindruck der Beeinflussung der Wahl zu
vermeiden.
Die afghanische Regierung hofft, dass sich die Wähler nicht abschrecken lassen und hat die Medien aufgerufen, am Wahltag nicht über Anschläge zu berichten, um eine hohe Wahlbeteiligung zu
ermöglichen. Die NATO geht davon aus, dass nur bei einem Prozent der Wahllokale die Gefahr eines Angriffs von Aufständischen besteht.
Karzai im Wahlkampf wenig präsent
Insgesamt stehen 41 Kandidaten auf den Wahlzetteln, darunter zwei Frauen. Vier Kandidaten haben sich jedoch schon wieder zurückgezogen. Präsident Karzai war im Wahlkampf nur wenig zu sehen.
Statt den Kontakt zur Bevölkerung zu suchen, beschäftigte er sich eher damit, das Aufkommen eines populären Rivalen zu verhindern. Zu den wichtigsten Konkurrenten um das höchste Amt im Staate
gehören Abdullah Abdullah, ehemaliger Außenminister und Ashraf Ghani, ehemaliger Finanzminister, die einen harten Wahlkampf geführt haben.
Zwischen morgens 6 Uhr und abends 20 Uhr werden die Wahllokale geöffnet sein. Karzais Einfluß auf die Besetzung der Unabhängigen Wahlkommission, Betrugsgerüchte und der Widerstand der
Taliban lassen die Wahl in einem ungünstigen Licht stehen. Am Ende wird es spannend, wie hoch die Mehrheit von Karzai sein und ob sie von den unterlegenen Kandidaten akzeptiert wird. Sollte kein
Kandidat eine Mehrheit der Stimmen erhalten, sind für den 1. Oktober Stichwahlen angesetzt.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.