Wie Macron die gemeinsame europäische Luftverteidgung aufs Spiel setzt
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Frankreich berief für den 19. Juni ein Treffen von Verteidigungsministern und Militärvertretern ein, um hier, anlässlich der berühmten Luftfahrtschau und Militärmesse in Paris Le Bourget über die europäische Luftverteidigung zu diskutieren und dabei die enorme Bedeutung der europäischen Souveränität deutlich herauszustreichen. Als Ergebnis des Treffens kündigte Präsident Emmanuel Macron an, dass Estland, Ungarn, Belgien und Zypern mit Frankreich zusammen „mehrere Hundert Mistral-Raketen“ französischer Bauart einkaufen würden. Die unterzeichnete Absichtserklärung sei der „erste Fall eines gemeinsamen Kaufs dieser Art von Material“. Ziel sei die Harmonisierung der europäischen Positionen.
Kontrapunkt zu Olaf Scholz
Der Schritt setzt einen Kontrapunkt zum deutschen Vorstoß einer gemeinsamen Beschaffung von Luftabwehrsystemen, den Kanzler Olaf Scholz Ende August 2022 erstmals als „European Sky Shield“ öffentlich vorgestellt hatte, der dann am 13. Oktober 2022 von 15 Staaten unterzeichnet wurde. (Belgien, Bulgarien, Deutschland, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Vereinigtes Königreich; Dänemark und Schweden traten später bei).
ESSI (European Sky Shield Initiative) soll sich auf die deutschen Flugabwehrsysteme IRIS-T für die kurze Reichweite, die amerikanischen MIM-104 Patriot für die mittlere Reichweite und amerikanisch-israelische Arrow-3 für die große Reichweite stützen. Macrons Vorschlag unterscheidet sich von der Berliner Initiative durch die Betonung der europäischen strategischen Autonomie, indem er der Beschaffung innerhalb der EU, um genau zu sein in Frankreich, Vorrang einräumt. Nur Belgien ist in beide Projekte involviert, Italien und Polen dagegen bislang in keines.
Frankreich will die heimische Produktion fördern
Paris hat im Vorfeld unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Konferenz am Montag als Herausforderung der Berliner Initiative verstanden werden soll. „Der Ausgangspunkt liegt auf der Hand: Der Krieg in der Ukraine wirft die Frage der Flugsicherheit in Europa auf“, hieß es dazu aus dem französischen Verteidigungsministerium. „Wir haben die Pflicht und die Mittel, die Führung bei der Gewährleistung der Sicherheit unseres Kontinents zu übernehmen.“
Natürlich ist es legitim, die Interessen der jeweils eigenen Rüstungsindustrie zu wahren und zu unterstützen. Allein, die propagierte „größere Einheitlichkeit zur Gewährleistung seiner eigenen Sicherheit“ bringt Europa so eben nicht zustande. Das weiß man natürlich auch in Paris. Deshalb streut das französische Verteidigungsministerium die Information, die Lieferzeit der amerikanischen Patriots sei so „extrem lang, so dass sich die Frage stellt, wo wir die Grenze zwischen Geschwindigkeit und Souveränität ziehen wollen.“
Wenn es mindestens genauso lang dauere, amerikanische Raketen zu kaufen wie eigene zu produzieren, dann sollten die der heimischen Industrie beschafft werden. Frankreich favorisiert daher das Mittelstrecken-Boden-Luft-Verteidigungssystem SAMP/T-MAMBA, produziert vom europäischen Rüstungskonzern MBDA, einer Tochtergesellschaft von Airbus, BAE Systems und Leonardo. Beteiligt sind also unter anderem Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Italien. Man kann das so sehen, sollte aber auch sagen, dass SAMP/T-MAMBA nur ein Mittelstreckensystem ist, und zudem teurer als die Patriots.
Eine vertane Chance
Gleichzeitig aber polemisiert Paris über angebliche Probleme, die die „deutsche“ Sky Shield Initiative verursache. Und das ist dann alles andere als die feine Art. Frankreich selbst betreibt beinharte Industriepolitik und bevorzugt einheimische Unternehmen, wo immer es geht, so auch in diesem Fall. Der Bundesregierung das nämliche Verhalten vorzuwerfen und es als zu wenig europäisch darzustellen, ist zumindest ungehörig. Und es dient nicht der Verbesserung des ohnehin fragilen Verhältnisses.
Und schon gar nicht dient es den Interessen der baltischen und östlichen NATO-Partner und deren Ängsten vor russischen Aggressionen. Statt relativ brüsk abzulehnen, wäre Frankreich besser dem Air Shield beigetreten und hätte es mit seinem Knowhow gestützt und unterstützt. Ein explizites Gegenprojekt ins Leben zu rufen, ist in jedem Fall kontraproduktiv.
Dass schließlich Polen und Italien bislang in keine der Initiativen eingebunden sind, liegt an den nationalistischen Regierzungen in Rom und Warschau. Gleichwohl hilft es nicht, die europäische Eigenständigkeit zu verbessern und auch militärisch Verantwortung für den Kontinent zu übernehmen. Auch deshalb hätte Macron besser Frankreichs Einfluss geltend gemacht, um eine gemeinsame, gesamteuropäische Luftverteidigung unter Einschluss auch dieser beiden Staaten möglich zu machen. Die Chance ist vorerst vertan.