Wie Labour die Tür öffnet für einen Exit vom Brexit
Großbritannien wandelt am Rande eines katastrophalen Brexits ohne Abkommen und Jeremy Corbyns Labour Partei trifft sich in diesen Tagen in Liverpool zum jährlichen Parteitag. Das Signal, das eigentlich ausgesandt werden sollte, ist die Bereitschaft der Partei zur Machtübernahme im Land. Die Forderung nach Neuwahlen zieht sich durch alle Debatten. Gleichzeitig ist aber auch der Brexit ein Thema, dem man nicht aus dem Weg gehen kann und das nicht nur, weil zahlreiche Aktivisten in Blau und Gelb den Delegierten mit Flyern, Fahnen und Demos ins Gewissen reden.
Corbyn meidet das Thema Brexit
Bisher hatte sich Corbyn nicht wirklich klar zum Brexit positioniert und sich stattdessen auf die brennenden sozialen Fragen des Landes wie Wohnungsmarkt oder Bildung konzentriert. Er versprach, das Referendum zu respektieren und sich dafür einzusetzen, dass der Brexit möglichst wenig Auswirkungen auf Jobs und die Wirtschaft haben würde. Selbst Enthüllungen über finanzielle Unregelmäßigkeiten der Brexit-Kampagne und der Fakt, dass Brexit-Befürworter wie Boris Johnson und andere mit blanken Lügen agiert hatten, wurden dabei ausgeblendet.
Nun spitzt sich die Lage allerdings zu und das Versprechen des Parteichefs wird auf die Probe gestellt, denn Premierministerin May und ihre zutiefst zerstrittene konservative Partei drohen das Land ohne Abkommen aus der EU zu führen, ein Szenario, das nicht nur langfristig schlimme wirtschaftliche Folgen zeitigen könnte, sondern auch ganz kurzfristig zu Lebensmittel- und Medikamentenengpässen führen könnte.
Labour hat nun einen Fahrplan
In dieser Situation hat sich die Partei ein Stück weit bewegt und ihren Fahrplan zum Brexit skizziert. Niemand geht davon aus, dass May bis November ein Abkommen mit der EU erreicht, das in irgendeiner Weise für Labour akzeptabel wäre. Corbyn lehnt daher ein Abkommen der Premierministerin ab, weil es mit hoher Wahrscheinlichkeit Arbeitsplätze gefährdet, die irische Frage nicht löst und eine Reihe anderer Kriterien ebenfalls nicht erfüllt.
Labour wird auch einen No-Deal Brexit klar ablehnen und fordert stattdessen, dass die Regierung den Weg für Neuwahlen freimacht. Allerdings ist die Chance dafür nicht sehr groß, da die Konservativen sich zwar inhaltlich über fast nichts einig sind, wenn es aber darum geht, Corbyn ls Premierminister zu verhindern, halten sie fest zusammen.
Parteimitglieder sind pro-europäisch
Unter heftigem Duck der Mitglieder und vieler zivilgesellschaftlichen Organisationen hat sich Labour daher nun erstmals die Option offengehalten, ein Abkommen mit der EU in einem Referendum bestätigen zu lassen. Dabei argumentiert die Partei, dass auch Gewerkschaften ihre Tarifverträge den Mitgliedern noch einmal zur Abstimmung vorlegen. Damit hat Labour erstmals seit 2016 die Tür zu einer möglichen Rückkehr in die EU einen Spaltbreit geöffnet.
Für viele Britinnen und Briten ist das erstmals die Chance, den gefürchteten Pfad in den Abgrund des Brexit vielleicht doch noch verlassen zu können. Die nächste Woche mit dem Parteitag der Konservativen und die kurze Verhandlungsfrist bis November werden zeigen, ob das Vereinigte Königreich sich noch einmal besinnt und den Menschen die Chance gibt zu prüfen, ob die Versprechungen von 2016 mit der Realität von 2018 übereinstimmen.
leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in London. Zuvor leitete er das Büro der Stiftung in Athen und in Brüssel.