Wie die Demokratie wieder in die Offensive kommt
Thomas Koehler/photothek.net
Die Stimmung unter Demokraten war schon mal besser. In den seligen neunziger Jahren etwa, als Russland, die Türkei und Südafrika sich noch „transformierten“, mehr Beteiligungsrechte in fast allen Weltregionen festgestellt wurden und die globale Demokratie um die nächste Ecke der Weltgeschichte schien. Und heute? Der Arabische Frühling: eine Fata Morgana. Der „Leuchtturm“ Europäische Union: Absetzbewegungen im Westen und Demokratiefeinde im Osten. Die USA: am Rande des Irrsinns. Und was die aufstrebenden Mittelmächte angeht: Justizputsch in Brasilien, Korruption und Verhaftungen von Journalisten in der Türkei und ein ungebrochen aufsteigendes China, das sich einfach nicht demokratisiert. Während man von einer Rückkehr der Autokratie raunt, scheint die Demokratie mit dem Kopf gegen die Zeitmauer zu rennen.
Es ist Zeit, die Ärmel hochzukrempeln
Soll man sich also besser in die Wagenburg zurückzuziehen und sich auf die Probleme zuhause konzentrieren? Von Autokratien lernen? Immerhin baut China wesentlich schneller neue Flughäfen als Berlin. Und wenn man denn schon Außen- und Entwicklungspolitik betreibt: Soll man dann noch ernsthaft versuchen, Demokratie weltweit zu fördern – oder wäre es besser, sich auf die technische Unterstützung von Regierungen zu konzentrieren (passend zum neuen Leitmotiv deutscher Entwicklungspolitik: „Fluchtursachen bekämpfen“)?
Viel spricht dafür, dass es gerade jetzt an der Zeit ist, die Ärmel hochzukrempeln und sich nicht ins Bockshorn jagen zu lassen. Die Demokratie hat noch viel anzubieten und je schneller sie wieder in die Offensive kommt, desto besser. Denn:
- steht es nicht so schlimm, wie es jüngste politische Bestseller („Wie Demokratien sterben“) suggerieren. In weiten Teilen Lateinamerikas sitzt die Demokratie fest im Sattel. In anderen Regionen geschieht Bemerkenswertes: Die Steinzeit-Diktatur in Gambia ist Geschichte, in Äthiopien trifft sich der Premierminister mit freigelassenen politischen Gefangenen. In Malaysia wird eine Kleptokratenclique abgewählt und in Armenien sorgt die „samtene Revolution“ für Hoffnung. Und, vielleicht noch wichtiger: Es gibt etliche große Länder wie Nigeria oder Indonesien, die sich langsam, aber sicher demokratisieren.
- greifen Bevölkerungen mittlerweile schneller ins Steuer, wenn Regierungscliquen sich bereichern. Guatemala, Südafrika, Südkorea – mit Schimpf und Schande werden korrupte Präsidenten aus dem Amt gejagt. Das zeigt: Die Ansprüche der Bevölkerung an die Regierenden steigen und das Mehr an Transparenz wird zur Kontrolle von Regierungen genutzt. Gut so!
- ist die wirtschaftliche Bilanz der Demokratie nicht so schlecht, wie es die Wachstumsraten Chinas und infrastrukturelle Protzprojekte von Autokraten suggerieren. Wenn man nüchtern die globalen Wirtschafts- und Demokratieindizes auswertet, stellt man fest, dass die Wirtschaft in Demokratien nicht nur schneller wächst als in Diktaturen, sondern dass es dabei auch gerechter und nachhaltiger zugeht.
Das heißt nicht, dass alles gut läuft. Aber es gibt zumindest Keime der Hoffnung, die gestärkt werden sollten – auch durch Deutschland.
Es gibt keinen Automatismus für Demokratie
Dazu ist es erstens an der Zeit, die Zielkonflikte in der deutschen Politik anzugehen. Denn klar ist: Es gibt keinen Automatismus von Demokratie durch wirtschaftliche Entwicklung oder Globalisierung. Strukturen, die die Demokratie schwächen, sollten Schritt für Schritt abgebaut werden. Das betrifft zum Beispiel Waffenlieferungen an Autokraten und Mechanismen, die es Oligarchen erlauben, Macht und Reichtum zu zementieren. Warum also machen wir nicht ernst mit der Geldwäschebekämpfung im Immobiliensektor? Warum gehen wir nicht rigoroser gegen Schattenfinanzplätze vor?
Zweitens sollte sich Deutschland in multilateralen Foren intensiver für Menschenrechte und Demokratie einsetzen – auch wenn es um vermeintlich technische Fragen geht. Wenn etliche Länder auf eine Verschuldungskrise zusteuern, die in rigorosen Sparprogrammen münden wird, dann müssen die grundlegenden Menschenrechte garantiert werden. Transnationale Konzerne sollten an die regulatorische Leine genommen werden, damit sie ihre Machtfülle nicht ohne Checks and Balances ausspielen können. Für all diese Fragen gibt es multilaterale Prozesse, bei denen sich Deutschland ins Zeug legen könnte. Nicht umsonst sitzen wir in den Vereinten Nationen, IWF, Weltbank, OECD und der G20: Nutzen wir dies, um die Globalisierung sozial und demokratisch zu gestalten!
Wir sollten die Spielräume nutzen
Drittens muss sich auch die Strategie der Demokratieförderung anpassen. Denn es gibt nicht den einen Weg, den man in Seminaren vermitteln und dann fremden Ländern überstülpen kann. Demokratie muss lokale Gegebenheiten berücksichtigen und einen eigenen Mix aus unabhängigen Gerichten, Parlamenten, Parteien, starken Gewerkschaften und freier Zivilgesellschaft entwickeln. Der Dialog über gemeinsame Werte und die Frage, wie man sie in Politik gießt, sollte mindestens gleichberechtigt neben Schulungen und Konferenzen treten. Dabei sollten wir offen dafür sein, vom Süden zu lernen – etwa wenn es um öffentliche Mobilisierung gegen Korruption oder die Erneuerung politischer Parteien geht.
Es ist nicht einfacher geworden, Programme zur Demokratieförderung aufzusetzen. Regierungen sind misstrauischer geworden und bauen administrative Hürden auf, wenn sie befürchten, Macht zu verlieren. Manches ist legitim – wir möchten ja auch wissen, wer in Deutschland mit welchem Interesse operiert – anderes paranoid oder schlichtweg antidemokratisch. Aber so lange Spielräume existieren, sollten wir sie nutzen. Dann können wir uns zumindest ein wenig Stolz erlauben, wenn die Zeiten wieder besser werden.
arbeitet im Referat Globale Politik und Entwicklung der Friedrich-Ebert-Stiftung.