Wie CETA vom neoliberalen Kopf auf sozialdemokratische Füße gestellt wird
BLG/photothek.net
Es ist an der Zeit für Sozialdemokraten, über Globalisierung neu nachzudenken. Sicher, Freihandel schafft Wohlstand, doch für wen und wie viele? Richtig, Globalisierung schafft Arbeitsplätze, doch wo und auf welcher Art? Mit anderen Worten, es geht um die Gestaltungsmöglichkeiten der Globalisierung. Die Sichtweise eines schicksalhaften Zusammenwachsens der Welt, die bisher vorherrschend war, ist überkommen.
Über Handel werden Werte transportiert
Dem müssen sich auch Sozialdemokraten stellen. Die Frage ist nur wie? Ein guter Ausgangpunkt sind die Grundwerte der sozialen Demokratie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Diese müssen in einem transnationalen Rahmen interpretiert werden. Schließlich werden durch Handel, wenn auch indirekt, Werte transportiert. Es ist schließlich ein Unterschied, ob von uns importierte Produkte unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden oder nicht.
Eine solche Werthaltung fordert vor allem anderen ein Primat des Politischen. Anders sind die Grundwerte der SPD nicht zu realisieren. Der Markt jedenfalls stellt sie aus sich heraus nicht bereit. Mit Blick auf die Globalisierung heißt dies, dass Sozialdemokraten anstreben sollten, den globalen Handel sozialdemokratischen Wertvorstellungen zu unterwerfen. Dies ist ein klares Gegenkonzept zur marktkonformen Demokratie der Kanzlerin.
Was sich an CETA noch ändern muss
Diese Sichtweise hat Konsequenzen für globale Handelsabkommen und damit auch für CETA. Eine entscheidende Voraussetzung, die Handelsabkommen dann erfüllen müssen, ist, dass sie eine öffentliche Angelegenheit sein müssen, die dem politischen Primat unterworfen sind. Handelsregulierungen dürfen also nicht privaten Interessenverbänden übertragen werden. Dies wäre ein Einfallstor für marktkonforme Grundhaltungen, die allein den Interessen multinationaler Konzerne bzw. ihrer Interessenverbände dienen würden. In ihren Ursprungsfassungen waren sowohl TTIP als auch CETA wegen der privaten Schiedsgerichte zum Investorenschutz genau so angelegt und damit inakzeptabel.
Es ist Sigmar Gabriel durch Nachverhandlungen vor der Kulisse großen öffentlichen Drucks gelungen, durch Einbeziehung öffentlich bestallter Richter und die Schaffung mehrerer Instanzen, CETA vom neoliberalen Kopf auf sozialdemokratische Füße zu stellen. Allerdings sind diese Beine noch etwas kurz, da sich in dem Übereinkommen noch viele unbestimmte Rechtbegriffe finden, deren Auslegung immer noch als Einfallstor neoliberaler Vorstellungen genutzt werden können. Dies gilt es noch zu verändern.
Das Vorsorgeprinzip darf nicht geschwächt werden
Spürbare Fortschritte sind bei der Verankerung der ILO-Normen für Anwendung von Arbeitnehmerrechten erreicht worden. Diese sind sowohl von der EU-Kommission als auch von Kanada nunmehr akzeptiert worden. Es fehlen jedoch noch die einklagbaren Sanktionsmöglichkeiten bei deren Verletzung. Insofern besteht noch keine Gleichbehandlung zwischen Gütern und Investitionen auf der einen Seite und den Rechten in der Arbeitswelt auf der anderen Seite. Beides tritt aber durch Handel in einen Austausch.
Nachbesserungsbedarf gibt es auch im Hinblick auf die Verankerung des Vorsorgeprinzips, auf das sich der europäische Regulierungsansatz gründet. Es wird zwar im Grundsatz akzeptiert, aber durch einschränkende Klauseln wie „legitime Interessen“ und „wissenschaftliche Nachweise“ geschwächt.
CETA im Dienst sozialer Werte
Kritisch ist auch das Festhalten an Negativlisten, die einen grundsätzlichen Marktöffnungsanspruch für alle nicht explizit genannten Bereiche begründet. Demokratischer wären Positivlisten, die die zu öffnenden Bereich alle explizit nennen und damit den Entscheidungen der Parlamente unterwerfen. Insbesondere muss dafür Sorge getragen werden, dass die öffentliche Daseinsvorsoge aus dem Abkommen herausgenommen werden kann.
Alles in allem ist CETA trotz der fortbestehenden Mängel ein merklicher Fortschritt im Vergleich zu TTIP. Insbesondere folgt CETA einem veränderten Paradigma: Statt Handelsabkommen als Durchsetzungsmittel für neoliberale Vorstellungen einer marktkonformen Demokratie zu instrumentalisieren, wird nunmehr versucht, sie als Instrument in den Dienst sozialer Werte zu stellen.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.