Vor 25 Jahren schlug Chinas Führung die Demokratiebewegung auf dem Tian'anmen-Platz in Peking gewaltsam nieder. Heute ist China eines der wichtigsten Länder der Welt, ohne das keine globale Herausforderung zu meistern ist. Deutschland sollte im Umgang mit China auf einen Wandel durch Annäherung und Dialog setzen. Und dabei an die Ereignisse vor 25 Jahren erinnern.
Die Bilder von vor 25 Jahren haben sich bei mir eingebrannt. Riesige Demonstrationen über Wochen. Rollende Panzer und Schüsse. Sprachlose Menschen auf der ganzen Welt. Vor 25 Jahren wurde mit der Niederschlagung der Reformbewegung für soziale und politische Veränderungen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Beijing ein politischer Frühling beendet. Bis heute wirken in den politischen Debatten Chinas die Ereignisse nach. Wie viele Menschen der Niederschlagung durch das Militär zum Opfer gefallen sind, ist bis heute nicht bekannt. Der Wunsch auf Veränderung innerhalb und außerhalb der Kommunistischen Partei Chinas ist damit aber nicht beendet worden.
25 Jahre nach diesen schrecklichen Ereignissen auf dem Tian’anmen-Platz erinnern viele Menschen heute und in den nächsten Tagen an die Opfer. Rufe nach Aufarbeitung und einem kritischen Umgang mit China werden wieder lauter. Von Deutschland wird eine klare kritische Stimme gefordert. Dies ist leichter gesagt als getan. Das Verhältnis von Deutschland und China in den letzten Jahrzehnten sehr viel komplexer geworden. Einfache Antworten sind schwierig. Auch die Parteien tun sich schwer. Doch eine Leitlinie ist zentral für den Umgang der SPD mit China: Es kann nur einen nachhaltigen Wandel durch Annäherung und Dialog geben.
Strategische Partnerschaft nötig
China ist das bevölkerungsreichste Land der Welt und ist inzwischen zur größten Wirtschaftsmacht aufgestiegen. China ist ein Global Player, mit dem Kooperation zwingend notwendig ist. Die verlässliche strategische Partnerschaft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China reduziert sich dennoch nicht alleine auf wirtschaftliche Kooperation. Das ist auch gut und notwendig. Mit der Implementierung des Rechtsstaatsdialogs und vielfältiger anderer Aktivitäten wie dem Parteiendialog wurden in den letzten Jahren wichtige Fortschritte erzielt.
Die zentralen globalen Herausforderungen von der Klimaschutzpolitik über den Welthandel bis zur Finanzmarktregulierung sind ohne einen aktiven Beitrag Chinas nicht lösbar. Gleichzeitig sieht sich China angesichts der enormen Entwicklungsunterschiede im Land selbst weiterhin als Entwicklungsland. Ein Rollenverständnis, das in der globalen Welt in Frage gestellt wird. Die Einwände drehen sich nicht nur um den hohen wirtschaftlichen Stellenwert Chinas im Welthandel sondern auch um die außenpolitische Rolle. Stichworte wie Syrien oder Nordkorea stehen nur stellvertretend für die hohen Erwartungen der Staatengemeinschaft an die chinesische Führung.
Jenseits der globalen Herausforderungen und Veränderungen haben sich auch die Verhältnisse in China drastisch verändert. Mehrere hundert Millionen Chinesen nehmen am wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung teil. Hungersnöte gehören der Vergangenheit an. Die Urbanisierung verbessert die medizinische Versorgung. Gleichzeitig wachsen die Vermögens- und Einkommensunterschiede rasant, enorme Entwicklungsunterschiede zwischen Stadt und Land, Ost- und Westchina, große ökologische Herausforderungen bei Luft, Wasser und Böden zwingen zu Veränderungen, die teils heftig diskutiert werden. Die Zunahme von Protestaktionen - Schätzungen gehen von Zehntausenden Aktionen mit mehr als 500 Teilnehmern im vergangenen Jahr aus - deutet auf die Veränderungen massiv hin. Alle diese Entwicklungen stellen das Land und damit auch die politische Führung vor sehr große Herausforderungen.
Repression und Zensur weiter an der Tagesordnung
Viele Fortschritte, die sich aus der Partnerschaft zwischen Deutschland und China ergeben haben, werden jedoch aktuell auch in Frage gestellt. Repressionen und Zensur sind weiterhin an der Tagesordnung. Zunehmend kritisch muss man auch die Auseinandersetzungen und das massive Auftreten Chinas in den Meeresgebieten sehen. Der Inselstreit mit Japan, den Philippinen und unlängst die Platzierung einer Ölplattform vor Vietnam sprechen eine eigene Sprache. Die Angst vor Bildern wie vor 25 Jahren kehrt zurück.
Gerade deshalb muss die verlässliche strategische Partnerschaft zwischen den politischen Institutionen und Parteien dringend weitergeführt werden! Wir brauchen Dialog und Brücken. Mit dieser Kraft im Rücken könnte sich China längst leisten, die eigene, traurige Geschichte offen und kritisch darzustellen.
Soweit ist es aber leider noch nicht. Ein Gedenken an die Opfer vom 3. und 4. Juni 1989 ist verboten. Das Ereignis soll aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden.
Nur Erinnern kann eine Wiederholung ausschließen
Chinas neue Rolle in der Welt würde steigen, wenn sich das Land der Mitverantwortung stellt, wie alle anderen Länder der Erde auch sich ihrer eigenen Geschichte nicht entziehen dürfen. Nur das kritische Erinnern kann eine Wiederholung ausschließen. Deswegen müssen wir überall auf der Welt gegen das Vergessen kämpfen. Deutschland kann im Rahmen der verlässlichen strategischen Partnerschaft ganz erhebliche Beiträge auf dem Weg zu einer Reformagenda leisten. Einer Reformagenda, die mehr als die wirtschaftliche Entwicklung im Sinn hat.
„Unverrückbare Grundsätze sind wie Scheuklappen. Man sieht dann sehr wenig von der Wirklichkeit.“ Deng Xiaoping
ist stellvertretender SPD-Vorsitzender sowie Fraktions- und Landesvorsitzender der SPD in Hessen. Er ist Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie.