Wahlen gewonnen: Warum Norwegens Sozialdemokraten ein Vorbild sind
Norwegens Sozialdemokraten gewinnen die Parlamentswahl dank Teamwork, Erfahrung und klarer Haltung – und senden ein Signal nach Berlin und Brüssel.
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Jonas Gahr Støre auf der Wahlparty seiner Arbeiterpartei in Norwegen
Bei den gestrigen Parlamentswahlen stand in Norwegen viel auf dem Spiel – nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie. Noch gut in Erinnerung waren die schockierten Gesichter nach der Regionalwahl 2023, als die „Arbeiderpartiet“ – die norwegische Arbeiterpartei – nach 99 Jahren ihre Spitzenposition als stärkste Kraft verlor. Wie üblich folgten Forderungen nach einem Kurswechsel, nach neuem Führungspersonal und nach einem klareren sozialdemokratischen Profil in der Regierung. Genau das haben die Sozialdemokraten seither umgesetzt – und zwar konsequent. Der erneute Wahlsieg zeigt: Teamwork, politische Erfahrung, ein klarer Markenkern und Ausdauer können das Blatt wenden.
Welcher war der cleverste Schachzug? Sicherlich die Reaktion auf den Bruch der Koalition mit der „Senterpartiet“ – einer zentristischen Bauernpartei – im Februar 2025. Mit einer geschickten Kabinettsumbildung und der Rückkehr von Jens Stoltenberg – dem früheren Ministerpräsidenten und NATO-Generalsekretär, nun als Finanzminister – ins alleinregierende sozialdemokratische Kabinett verdoppelte Premier Jonas Gahr Støre die Umfragewerte und verschaffte seiner Partei neuen Auftrieb. Die Medien in Skandinavien feierten den „Stoltenberg-Effekt“, der das Ende der Krise besiegelte. Zusammen mit Außenminister Espen Barth Eide präsentierte Støre eine Regierung, die außenpolitische Kompetenz bündelte und Norwegens Rolle als Energie- und Sicherheitspartner stärkte. An Themen fehlte es nicht: Öl, Gas, Klima und die Arktispolitik standen weit oben auf der Agenda.
Souveräne Dompteure des US-Präsidenten
Mit Stoltenberg kehrte zudem ein ausgewiesener Trump-Kenner nach Norwegen zurück. Im April traten Støre und er gemeinsam in Washington auf – als souveräne Dompteure des US-Präsidenten. Dass der frühere Außenminister Støre heute über seinem einstigen Chef Stoltenberg steht, dem er in Charme und Charisma unbestritten unterlegen ist, hat weder ihn selbst noch die sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler je gestört. Und auch der amtierende Außenminister versteht es, eigene Akzente zu setzen, etwa in der Nahostpolitik.
Im Mittelpunkt stand ihre enge Zusammenarbeit – sichtbar auf Wahlplakaten, die „Jens“ und „Jonas“ gemeinsam zeigten. Die Trendwende war perfekt. Der Wahlslogan „Sicherheit für die Zukunft“ erwies sich auf vielen Ebenen als Gewinnerthema: Er spiegelte sowohl das Sicherheitsbedürfnis eines weiteren nordischen Landes mit Grenze zu Russland als auch den Wunsch nach stabilen transatlantischen Beziehungen. Norwegen deckte zuletzt fast die Hälfte des deutschen Gasbedarfs und ein Drittel des Gesamtbedarfs der EU. Vier weitere Jahre mit Jonas Gahr Støre an der Spitze sind daher gerade für Europa eine gute Nachricht.
Støre ist ein vorbildlicher Verfechter gemeinsamer Lösungen. Er lässt sich nicht von der weltweiten Unordnung entmutigen, sondern erkennt, wo regelbasierte Ansätze weiterhin möglich sind. Sein klarer Kurs – geprägt von seiner klaren Haltung zu Gaza und Norwegens historischer Vermittlerrolle im Nahen Osten – wird inzwischen auch von europäischen Staaten wie Frankreich oder Spanien aufgegriffen. Die große Mehrheit der norwegischen Parteien unterstützt diesen Kurs. Einzige Ausnahme ist die kommunistische Partei Rødt, welche die NATO ablehnt. Alle anderen stehen zum Bündnis. Die Sozialdemokraten haben ihre Haltung zudem in konkrete Politik übersetzt: Kurz vor der Wahl trennte sich die Regierung im Umgang mit dem norwegischen Staatsfonds von israelischen und US-Unternehmen, die in Kriegsverbrechen verwickelt sind – und bewies damit auch Standfestigkeit gegenüber Washington.
Kristina Birke Daniels
Die Entscheidung fiel am Ende dank der spektakulären Aufholjagd der Arbeiterpartei denkbar knapp zugunsten des Mitte-Links-Blocks aus.
Die norwegische Debatte im Wahlkampf war neben dem verblüffenden Schwerpunkt auf Außenpolitik erstaunlich konkret: Klassische nordische Verteilungsfragen dominierten. Beobachter konstantierten allerdings, dass sich der Wahlkampf in Teilen fast US-amerikanisch anfühlte. Unternehmernahe Super-PACs finanzierten eine Kampagne gegen die seit 1882 bestehende Vermögensteuer – vor allem über direkte Großspenden reicher Unternehmer und Investoren. Das Geld floss in Medienkampagnen, Lobbyarbeit und öffentliche Veranstaltungen und sorgte nicht nur im Inland, sondern auch international für Schlagzeilen.
Die Arbeiterpartei hielt dagegen und verwies darauf, dass etwa in Schweden die Abschaffung der Vermögensteuer keineswegs einen Wirtschaftsboom ausgelöst, sondern vielmehr die Arbeitslosigkeit erhöht habe. Jüngere Wählerinnen und Wähler interessierten sich indes fast noch stärker für andere Fragen: Soll es einen staatlichen Maximalstrompreis geben? Müssen Zahnarztbesuche genauso teuer bleiben wie Termine beim Hausarzt? Soll die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gesenkt werden? Und sollten Kindergärten kostenlos sein? Neun Parteien diskutierten diese Themen in zahllosen Runden – auf Marktplätzen, in Fernsehstudios, sogar in KI-generierten Formaten. Am stärksten aber tobte die Debatte online.
Die Entscheidung fiel am Ende dank der spektakulären Aufholjagd der Arbeiterpartei denkbar knapp zugunsten des Mitte-Links-Blocks aus, der die gesellschaftliche Mehrheit errang. Zuvor war die Macht immer häufiger zum bürgerlichen Lager gewechselt – allerdings nicht wie früher zur konservativen Høyre unter ihrer seit 2004 amtierenden Vorsitzenden Erna Solberg, sondern zur populistischen Fortschrittspartei.
Ein historisches Ergebnis
Diese erzielte nun ein historisches Ergebnis: Zum ersten Mal erhielt sie mehr Stimmen als alle übrigen bürgerlichen Parteien zusammen. Mit einem Zuwachs von 12,3 Prozentpunkten ist sie zweitstärkste Kraft – der größte Stimmengewinn einer Partei seit hundert Jahren. Der politische Wind bläst also, trotz des Sieges der Sozialdemokraten, kräftig von rechts. Allerdings scheiterte die Fortschrittspartei an ihrer Vorsitzenden Sylvi Listhaug. Sie ist weder im rechten Block noch in der breiteren Gesellschaft mehrheitsfähig: Selbst 44 Prozent der konservativen Wählerinnen und Wähler von Høyre entschieden sich im direkten Vergleich lieber für den Sozialdemokraten Jonas Gahr Støre.
Am Ende sorgte auch der Rückenwind für kleinere Parteien, vor allem im linken Spektrum, für neue Konstellationen. Mit einer „Anti-Listhaug-Garantie“ mobilisierten die Grünen taktischen Wahlzuspruch und schafften erstmals die Vier-Prozent-Hürde.
Die Arbeiterpartei ist künftig auf die Unterstützung von vier Parteien aus dem Mitte-Links-Lager angewiesen. Im Wahlkampf wurde dieses Bündnis scherzhaft als „Tutti-Frutti-Koalition“ bezeichnet. Ob es für die Sozialdemokraten süß schmecken wird, muss sich jedoch erst zeigen. Vor allem in der Energiepolitik liegen die Parteien auseinander: Während die rot-grüne Linke einen raschen Ausstieg aus der fossilen Industrie fordert, betont die Arbeiterpartei vor allem die Exportinteressen gegenüber den europäischen Partnern. Das könnte zu einem linkeren Kurswechsel führen.
Kristina Birke Daniels
Die Sozialdemokratie hat die Wahl mit Erfahrung und klarer Positionierung gewonnen.
Während die Arbeiterpartei vor der alleinigen Minderheitenregierung die agrarische, euroskeptische Senterpartiet an ihrer Seite wusste, die in vielen innenpolitischen Fragen näher an der Sozialdemokratie liegt als die kleineren linken Parteien, ist dies nun nicht mehr der Fall. Doch die Senterpartiet erlitt eine krachende Niederlage. Die neue Konstellation könnte daher dazu führen, dass die linkeren Partner verstärkt Druck ausüben, um das jahrzehntelange Paradoxon Norwegens zwischen kontinuierlicher Ölförderung und ambitionierter Klimapolitik endlich aufzulösen. Für den Teamgeist der Sozialdemokraten bedeutet das eine neue Herausforderung.
Andererseits stellt sich nun die Frage, wie sich die neue Stärke der Fortschrittspartei auswirken wird. Im Wahlkampf konnte die Arbeiterpartei noch sachlich mit Gegenargumenten kontern, auch weil die Debatte sich auf bürgernahe Themen konzentrierte und man den populistischen Diskursen schnell verständliche Gegenargumente lieferte. So rechneten die Sozialdemokraten den Bürgerlichen etwa vor, dass deren Steuererleichterungen den gesamten norwegischen Polizeietat aufzehren würden.
Ein Modell mit Vorbildcharakter
Die Sozialdemokratie hat die Wahl mit Erfahrung und klarer Positionierung gewonnen – dank der richtigen Figuren und Themen. Norwegen bleibt damit für weitere vier Jahre ein politisches Labor für moderne sozialdemokratische Wohlfahrtsstaatspolitik, Anpassungen an den Klimawandel und die Rolle von Führungspersonen in modernen Demokratien.
Kennzeichnend für den Sieg der Arbeiterpartei 2025 ist nicht die Dominanz einer Einzelperson, sondern das Zusammenspiel zwischen Støre und Stoltenberg. Beide greifen auf eigene internationale Netzwerke und langjährige Regierungserfahrung zurück, verstehen sich aber als Partner auf Augenhöhe, die sich gegenseitig Raum geben und keine Profilierungskämpfe ausfechten müssen. Sie stärken sich gegenseitig, stehen für Stabilität, Krisenkompetenz und progressives Führungsverhalten – und überzeugten damit selbst junge Anhänger der konservativen Høyre. Ein Modell, das auch für andere Konstellationen Vorbild sein könnte.
In einem politischen Klima, das – entgegen vieler Darstellungen in deutschen Medien – von Norwegerinnen und Norwegern zunehmend als polarisiert und „amerikanisiert“ wahrgenommen wurde, spielten anonyme Manipulationsversuche im Netz ebenso eine Rolle wie provokante Ausfälle von Sylvi Listhaug. So bezeichnete sie den Vorsitzenden der sozialdemokratischen Jugendorganisation mehrfach und ohne Belege als „notorischen Lügner“. Dieser konterte, derartige infame Unterstellungen seien „nicht norwegisch“.
Vertrauen und Teamwork
Die Sozialdemokratie setzte dem ein anderes Verständnis von Führung entgegen: Sicherheit nach außen durch Verteidigungsfähigkeit, Sicherheit nach innen durch einen starken Wohlfahrtsstaat – ohne falsche Gegensätze zwischen beiden Polen. Sie verband Werteorientierung mit pragmatischem Handeln, Vertrauen statt gegenseitigem Unterbieten und evidenzbasierte Sachpolitik statt populistischer Rhetorik.
Diese kooperative Leadership ist auch international anschlussfähig: Geteilte Verantwortung und der Verzicht auf innerparteiliche Eifersüchteleien schaffen Handlungsfähigkeit – gerade in komplexen außen- und energiepolitischen Fragen.
Die norwegische Wahldebatte machte deutlich, dass Bürgerinnen und Bürger kollektive Kompetenz und souveräne Zusammenarbeit höher schätzen als den klassischen Kult um Parteiführungen. Der Sieg der Arbeiterpartei sendet damit auch nach Berlin und Brüssel die Botschaft: Vertrauen, offene Rollenverteilung und Teamwork können entscheidende Erfolgsfaktoren sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst im ipg-journal.
ist Direktorin des FES-Regionalbüros für die Nordischen Länder in Stockholm. Zuvor war sie für die FES als Leiterin in Kolumbien, Marokko und Indien tätig.