Vision für 2049: Wie sich junge Menschen Europa wünschen
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Welche Erwartungen haben junge Menschen an Europa?
Europa ist eine Herzensangelegenheit für junge Menschen. Das nehme ich regelmäßig bei meiner Arbeit für den Deutschen Bundesjugendring wahr. Für sie ist Europa kein Projekt, sondern tägliche Lebenswirklichkeit. Das bedeutet auch, dass sie Europa positiv gestalten wollen.
Vor kurzem haben die in der „Europäischen Bewegung Deutschland“ organisierten Jugendverbände ihre Visionen für Europa im Jahr 2049 vorgestellt. Wovon haben Sie sich dabei leiten lassen?
Ausgangspunkt der Visionen war das 70-jährige Jubiläum der EBD in diesem Jahr. Statt zurückzublicken, haben wir überlegt, wie Europa aussehen sollte, wenn die EBD hundert wird. Die konkreten Ergebnisse sind das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses der unterschiedlichen Gruppen und Interessen.
Welche Punkte waren besonders strittig?
Eine Kontroverse bis zum Schluss unserer Arbeit war die Frage, wie sozial Europa sein sollte. Das ist ja auch ein alter Streit: Ist die EU eher eine Wirtschaftsunion oder ein soziales Gebilde? Für die Vision haben wir uns darauf geeinigt, auf den Ausdruck „Sozialunion“ zu verzichten und stattdessen zu fordern: „Europa muss sozialer werden“. Konsens war, dass die Schieflage der EU in Richtung Wirtschaft ausgeglichen werden muss und dass die Menschen von einer vertieften europäischen Integration direkt profitieren müssen.
Heftig gerungen haben wir um die Themen Nachhaltigkeit und Agrarpolitik. Da hat sich bemerkbar gemacht, dass der Bund der Deutschen Landjugend als Nachwuchsorganisation des Bauernverbands mit am Tisch saß. Hier ging es darum, einen Kompromiss zu finden, zwischen engagierter Klimapolitik auf der einen und existenzsichernder Agrarpolitik auf der anderen Seite.
Bei der Vorstellung der Visionen wurde von vielen angemerkt, dass die Vision kaum neue Ideen umfassen würde und die meisten Vorschläge in irgendeiner Form bereits gemacht worden seien. War das eine bewusste Entscheidung?
Wir wollten bewusst keine illusionären Vorschläge machen, die in 30 Jahren garantiert nicht umzusetzen sind. Hinzu kommt, dass viele Ideen noch gar nicht umgesetzt wurden, obwohl sie schon länger in der Welt sind – etwa das Wahlalter 16 bei den Europawahlen, das wir ja sogar auf 14 Jahre absenken wollen. An vielen Stellen müssen wir das Rad nicht neu erfinden, sondern die Rahmenbedingungen ändern. Entscheidend ist ja auch, dass die Menschen nicht überrumpelt, sondern mitgenommen werden. Wenn Deutschland im Sommer die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, wird es übrigens eine große EU-Jugendkonferenz in Berlin geben, die der Deutsche Bundesjugendring mit veranstaltet. Da werden wir sicher einige Forderungen vertiefen und zuspitzen.
Anfang Dezember hat die Bundesregierung ihre neue Jugendstrategie vorgestellt. Geht sie, was Europa angeht, in die Richtung, die Sie sich vorstellen?
Positiv finde ich erstmal, dass es überhaupt eine Jugendstrategie gibt. Die Bundesregierung bekennt sich damit ganz klar dazu, dass sie die Jugend ernst nimmt, sie stärker in politische Prozesse einbindet und ihre Politik in diesem Bereich strategisch plant. Wichtig ist bei der Jugendstrategie, dass sie Bestand hat über die Legislatur hinaus. Europa spielt dabei allerdings nur sehr nachgeordnet eine Rolle wie einige andere Dinge leider auch.
Was fehlt Ihnen in der Jugendstrategie?
Als Bundesjugendring fordern wir schon lange einen Jugendcheck, der alle Gesetzesvorhaben auf Konsequenzen für junge Menschen hin überprüft. Es gibt ihn bereits als Modellversuch, aber ich hätte mir schon gewünscht, dass er gesetzlich verpflichtend verankert wird. Freiwillige Maßnahmen der Ministerien, die es bereits gibt, können nur ein Anfang sein.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.