International

Verhaltene Freude über Freilassung von Meşale Tolu

Die über sieben Monaten in Istanbul inhaftierte deutsche Journalistin Meşale Tolu wurde am Montag auf freien Fuß gesetzt, ihr Prozess geht weiter. Die deutsch-türkischen Beziehungen dürfte das ein Stück weit entspannen – doch von einem unabhängigen türkischen Rechtsstaat kann noch keine Rede sein.
von Kristina Karasu · 19. Dezember 2017
Meşale Tolu
Meşale Tolu

„Ich bin der glücklichste Mann der Welt“, erklärte der Vater von Meşale Tolu am Montag vor dem Istanbuler Gerichtshof Cağlayan. Freunde und Kollegen seiner Tochter strahlten, einige hatten Tränen in den Augen. Bei eisiger Kälte standen sie eng beieinander und kosteten den Moment der Freude aus, auf den sie so lange gewartet hatten.

Freilassung unter Auflagen

Am Vormittag hatte die Staatsanwaltschaft überraschend die Entlassung von Meşale Tolu und ihrer Mitangeklagten aus der Untersuchungshaft gefordert. Allerdings mit der Auflage, dass sie sich einmal wöchentlich bei der Polizei melden muss und die Türkei nicht verlassen darf. Das dürfte für Tolu zweitrangig sein, hatte sie doch schon im Vorfeld angekündigt, dass sie in der Türkei bleiben wolle. Die 33-jährige arbeitet seit 2014 als Journalistin und Übersetzerin für die sehr linke Nachrichtenagentur ETHA in Istanbul.

Ihr Prozess wird im April fortgeführt, angeklagt ist sie weiterhin wegen Terrormitgliedschaft und Propaganda für die linksextreme MLKP. Doch laut der Staatsanwaltschaft seien die Beweise nicht ausreichend, um sie weiter im Gefängnis zu halten. Dort hatte Tolu über sieben Monate verbracht, ein Großteil der Zeit mit ihrem dreijährigen Sohn Serkan. Auch Tolus Ehemann saß unter den gleichen Vorwürfen bis vor kurzem in Haft. „Sie haben mich inhaftiert, weil ich Mitglied einer freien Presse bin“, erklärte Meşale Tolu müde aber erleichtert am Abend. „Sie haben versucht, mich zu ängstigen, weil sie wussten, dass ich einen kleinen Sohn habe.“

Justiz als Werkzeug eines autoritären Staates

So wurde ein kleines Kind wohl zum größten Leidtragenden dieses Falles. Für ihn dürften die letzten Monate traumatisch gewesen sein, angefangen mit der Nacht im April, als bewaffnete Sondereinheiten der Polizei die Wohnung Tolus stürmten, sie vor den Augen ihres Kindes bedrohten und Serkan wildfremden Nachbarn übergaben. Vergessen werden darf das nicht, auch wenn wohl niemand in der türkischen Justiz dafür Rechnung tragen wird. Es beweist die Willkür und Unmenschlichkeit dieser Justiz, die zum Werkzeug eines autoritären Staates verkommen ist.

Schon beim ersten Prozesstag am 11. Oktober hatten die Anwälte die Freilassung von Meşale Tolu gefordert, doch damals lehnte das Gericht dies ab. An der äußerst dünnen Beweislage dürfte sich in den letzten zwei Monaten kaum etwas geändert haben, dafür aber an der politischen Stimmung zwischen Deutschland und der Türkei. Am 26. Oktober wurde der Menschenrechtler Peter Steudtner entlassen, am 29. November Tolus Ehemann Suat Çorlu. Auch für den Welt-Korrespondent Deniz Yücel gab es zumindest einen kleinen Lichtblick, seine Isolationshaft wurde Anfang Dezember aufgehoben.

Von Krise zu Krise

Regierungsnahe türkische Medien, die im letzten Jahr kräftig Stimmung gegen Deutschland gemacht und vor allem gegen Yücel eine Hetzjagd eröffnet hatten, stimmten in den letzten Wochen deutlich mildere Töne an. Sie betonen seither Gemeinsamkeiten und die wirtschaftlichen Banden der beiden Länder. Die in der Türkei inhaftierten Deutschen werden mit keinem Wort mehr erwähnt. Genau wie die Justiz sind auch diese Medien nicht unabhängig, sondern beugen sich dem Wind, der aus Ankara weht.

Dort scheint man derzeit mit anderen Problemen beschäftigt zu sein, etwa die seit Monaten anhaltenden Krisen mit den USA. Mit Deutschland will man es sich derzeit wohl nicht weiter verscherzen. Vor allem weil Berlin gezeigt hat, dass man nicht nur politischen, sondern auch wirtschaftlich Druck ausüben kann – eine Sprache, die Ankara am besten versteht. Zudem hat die türkische Regierung wohl eingesehen, dass sie mit der „Geiselnahme“ der Deutschen wenig erreichen kann.

Gabriel: „Signal der Entspannung“

Außenminister Sigmar Gabriel sieht nun in der Freilassung Tolus ein „deutliches Signal der Entspannung“ für das Verhältnis beider Länder. Gleichzeitig erklärte er, dass noch nicht alle Probleme beseitigt seien. Das betonte auch die SPD-Fraktion: „Die Verhaftung unschuldiger Deutscher legt den Verdacht nahe, dass die türkische Regierung damit politischen Druck zur Auslieferung vieler in Deutschland lebender oder nach Deutschland geflüchteter Türken erzeugen will“, so der menschenrechtspolitische Sprecher Frank Schwabe. „Auch Meşale Tolus Ausreiseverbot aus der Türkei nährt diesen Verdacht. Deutschland als Rechtsstaat wird jedoch keinen Deal eingehen.“ Zudem forderte er die bedingungslose Freilassung Tolus sowie anderer politischer Gefangenen.

Doch Deniz Yücel wird so schnell wohl kaum aus der Haft entlassen werden. Ihm liegt bis heute nicht einmal eine Anklageschrift vor. Während Meşale Tolus Fall in der türkischen Öffentlichkeit kaum ein Thema war, erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Yücel zur Zielscheibe, bezeichnete ihn in seinen Reden als Agenten und Terroristen. Ihm ist sehr bewusst, dass Yücels Haft für die Deutschen ein großes Thema ist. „ Sie gehen schlafen, sie wachen auf und sagen: Deniz“, so der Staatschef im April. Gleichzeitig schloss er Yücels Auslieferung kategorisch aus.

Deniz Yücel: Nur Druck hilft

Natürlich vergisst Erdoğan gerne mal seine Worte von gestern, wenn sie ihm heute nicht mehr in die Strategie passen. Doch es ist unwahrscheinlich, dass er seinen letzten Trumpf Yücel so schnell aus den Händen geben wird. Wahrscheinlicher ist, dass man seinen Prozess möglichst in die Länge ziehen und nebenbei kleine Signale der Entspannung an Berlin senden wird. Derzeit steht ein Urteil des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Yücels Untersuchungshaft aus. Allenfalls das könnte den Druck auf Ankara erhöhen.

Autor*in
Kristina Karasu

arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare