Verantwortungsgemeinschaft für Familien: Frankreich als Vorbild?
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Die Ampelkoalition hat sich festgelegt, die rechtliche Situation der Menschen den realen Lebensverhältnissen im Land anpassen zu wollen. Mehr Fortschritt wagen: Diesen Titel auf das Familienrecht anwendend könnte man formulieren, mehr Vielfalt wagen.
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP heißt es dazu unter anderem: „Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen“.
Deutsches Familienrecht wird entrümpelt
Damit wird nun das deutsche Familienrecht entrümpelt und der Lebenswirklichkeit angepasst, ob es nun um Adoptions-, Sorge- oder Erbrecht geht oder ganz schlicht darum, wer wen im Krankenhaus oder Pflegeheim besuchen darf, inklusive Auskunft vom medizinischen Personal.
Wie es geht, lässt sich bei den Nachbarn in Frankreich anschauen. Seit 1999 gibt es neben der klassischen Ehe den pacte civile de solidarité, kurz PACS, eine zivilrechtlich vereinbarte Partnerschaft, die wie ein Notariatsvertrag zwischen zwei ledigen und nicht miteinander verwandten Personen egal welchen Geschlechts vor jedem beliebigen Amtsgericht abgeschlossen (und wieder gelöst) werden kann. Der Vertrag regelt die gegenseitigen Rechte und Pflichten der beider pacsé(e)s und der Staat „honoriert“ das mit gemeinsamer steuerlicher Veranlagung und unterdessen auch einem weitgehend der Ehe angenähertem Erbrecht. Das Verb se pacser ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen und unterdessen ebenso gebräuchlich wie radfahren oder eben heiraten.
PACS seit 1999 in Frankreich
Klingt ungemein fortschrittlich, wenn nicht vorbildlich. Heute, nach rund 20 Jahren die Mensch sich pacsieren kann, ist in Frankreich die Zahl von pro Jahr neu eingegangenen klassischen Ehen und Pacs nahezu ausgeglichen. Im Jahr 2017 (die neueste Statistik) wurden 228.000 Ehen geschlossen und 128.000 geschieden. Dagegen stehen 194.000 pacs, bei 82.300 Auflösungen.
Als die sozialistische Regierung Lionel Jospin mit Justizministerin Élisabeth Guigou den pacs 1999 einführte, war der erklärte Hauptzweck, eine Möglichkeit für gleichgeschlechtliche Partnerschaften gesetzlich zu verankern. Das war auch in Frankreich ein langer und von der Rechten wie der katholischen Kirche äußerst erbittert geführter Kampf. Bis 1791 war die Ehe in Frankreich ausschließlich katholischen Paaren vorbehalten - unterschiedlichen Geschlechts versteht sich da von selbst. Protestanten, Hugenotten und Juden durften, wie auch Schauspieler unter keinen Umständen heiraten. Ihre Kinder waren juristisch Bastarde. Mit der Revolution von 1791 wurde die Eheschließung von einem kirchlichen zu einem staatlichen Akt für alle Bürger, auch Homosexualität wurde legal. Frankreich begründete seinen Ruf als liberales Land, auch und gerade in Fragen der Sexualität.
Kampf um „Ehe für alle“
Allein, die Realität blieb eine andere. Eine nennenswerte Bewegung für die Rechte und die Gleichstellung von Homosexuellen hat es Frankreich nie gegeben. Wo Gleichheit offiziell deklariert ist, scheint jede weitere Gleichstellungsdebatte unnötig, weil angeblich überflüssig. Aber noch 2013, als Präsident Francois Hollande sein Versprechen der „Ehe für alle“ durchsetzte, erhob die rechte UMP (heute die Republcains der Präsidentschaftskandidatin Valerie Pécresse) Verfassungsklage gegen das Gesetz und in Paris demonstrierten fast anderthalb Millionen Menschen, zum Teil hoch gewalttätig.
Denn ganz so einfach ist es auch mit dem PACS nicht. Zumindest nicht, was die Gleichstellung von homosexuellen oder ganz allgemein LGBTQ angeht. 95 Prozent aller neu begründeten Pacse sind hetero. Man kann das für „Normalität“ halten, einen Beleg der statistischen Häufigkeiten, aber warum gibt es mehr gleichgeschlechtliche Ehen als Pacse?
Von Frankreich lernen
Es gibt zu wenig Daten und Forschung, aber durchgesetzt hat sich PACS in Frankreich als „Ehe light“. So sind zum einen alle Formen von Gütertrennung leichter zu regeln als in der Ehe, da es sich ja sowieso um einen privatrechtlichen Vertrag handelt. Das gilt gleichermaßen für die Erbschaftsfragen. Wo nicht ausdrücklich anders vereinbart, wird vor PACS-Unterzeichnung bestehender Besitz ebenso wie Gebäude- und Betriebsvermögen nicht zum Teil des Erbes, sondern verbleibt im alleinigen Besitz. Und selbstverständlich ist es drittens erheblich einfacher einen zivilrechtlichen Vertrag aufzukündigen, als eine Ehe zu scheiden. Wenn nicht extra vereinbart, folgt aus einem PACS nach dessen Kündigung nicht automatisch und zwingend eine spätere Unterhaltsverpflichtung.
Natürlich lässt sich das alles auch anders regeln. Per zusätzlichem Vertrag eben. Fragt sich nur, wer das auch tatsächlich tut. Schließlich geht auch die elterliche Sorge bei gleichgeschlechtlichen Pacsen nach dem Tod eines Partners nicht zwingend auf den anderen über, sondern in der Regel zunächst auf das zweite „natürliche Elternteil“.
Damit lässt sich also in Frankreich nicht allein anschauen, wo Deutschland mit der Schaffung eines zeitgemäßen Familienrechts Nachholbedarf hat, sondern auch, welche Fehler es dabei zu vermeiden gilt.