Unter Beschuss: Druck auf Seenotretter im Mittelmeer steigt
Es wirkt wie ein Akt der Verzweiflung: In einem offenen Brief wandten sich die Chefs dreier im Mittelmeer engagierten Hilfsorganisationen zuletzt an Angela Merkel. Darin fordern sie die Bundeskanzlerin dazu auf, die Situation im zentralen Mittelmeer als humanitäre Krise anzuerkennen und sich zum Verhalten der libyschen Küstenwache zu positionieren. Diese hatte zuletzt das Leben der ehrenamtlichen Seenotretter durch ein riskantes Manöver gefährdet.
Massengrab Mittelmeer
Während eine Reaktion Merkels auf sich warten lässt, gibt die Lage entlang der Fluchtrouten auf dem Mittelmeer allen Anlass zur Verzweiflung. Nachdem im vergangenen Jahr offiziellen Angaben zufolge etwa 5.000 Menschen auf der Flucht nach Europa ertranken, liegt die Zahl der im Mittelmeer ums Leben gekommenen Flüchtlinge in diesem Jahr bereits bei über 1.800. Für Theresa Leisgang steht fest: „Wenn sich nichts ändert, werden noch mehr Menschen sterben.“
Die Sprecherin der in Berlin gegründeten Freiwilligenorganisation „SeaWatch“ war dabei, als ein Patrouillenboot der libyschen Küstenwache Anfang Mai nur wenige Meter am Bug des durch Spendengelder finanzierten Rettungskreuzers vorbeischrammte. Die Besatzung des Schiffes war gerade dabei, sich auf die Bergung von rund 350 auf einem Holzboot zusammengepferchten Menschen vorzubereiten. Statt an Deck der „SeaWatch“ fanden sich diese wenig später an Bord des Patrouillenbootes wieder. Das Schiff brachte die Menschen zurück nach Libyen - in jenes Land, aus dem sie zuvor geflohen waren.
Retter unter Beschuss
Gegenwind spüren die freiwilligen Helfer auch auf der politischen Ebene. Zuletzt mussten sie sich immer wieder des Vorwurfs erwehren, durch ihre Hilfsaktionen das Geschäft der Schlepper auf libyscher Seite überhaupt erst zu ermöglichen. „Sie senden eine Einladung an die Migranten, aber auch an die Schlepper. Unterstützen ihre Arbeit. Begünstigen illegalen Menschenschmuggel. Behindern die Arbeit derjenigen, die illegalen Schmuggel bekämpfen“, hatte sich Axel Grafmanns, Geschäftsführer des Vereins SeaWatch, zuletzt vorwerfen lassen müssen. Grafmanns war zu einer Anhörung vor dem Verteidigungsausschuss im italienischen Parlament geladen worden, nachdem italienische Staatsanwälte eben jenen Vorwurf erhoben hatten.
Zuvor hatte der österreichische Außenminister Sebastian Kurz die Seenotretter attackiert. „Der NGO-Wahnsinn muss beendet werden“, forderte Kurz und warf den Helfern vor, sich zu Partnern der Schlepper zu machen. Mitglieder der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ starteten ihrerseits eine Spendensammlung, um die Arbeit der Seenotretter zu behindern.
Mehr Flüchtlinge werden kommen
Theresa Leisgang weist die „absolut haltlosen Vorwürfe“ zurück, spricht von einer „absurden Verleumdungskampagne“. Es gebe keine Kontakte zwischen Helfern und Schleppern, so die Sprecherin. Die Flüchtlinge selbst wüssten überhaupt nicht, dass es Missionen wie die „SeaWatch“ gibt, erklärt Leisgang. Stattdessen erhebt sie schwere Vorwürfe gegen die Europäische Union (EU): „Die EU bildet die libysche Küstenwache dazu aus, Schiffe abzuwehren.“ Leisgang spricht von einem „abgekartertem Spiel“ zwischen EU und libyscher Küstenwache und davon, dass die EU die Helfer alleine lasse. Leisgang selbst war an Bord der „SeaWatch“, als diese über 57 Stunden hinweg 274 Schiffbrüchige an Bord unterbringen musste – darunter auch Frauen und Kinder. Nachdem eine spanische Fregatte lediglich die in schwimmenden Rettungsinseln untergebrachten Flüchtlinge an Bord genommen hatte und die Hilferufe der Crew über Tage unbeantwortet blieben, beschlich Leisgang das Gefühl: „Wir sind hier total allein“.
Auf die verheerende Lage entlang der Fluchtroute über Mittelmeer aufmerksam zu machen ist Ziel einer Konferenz, die „SeaWatch“ gemeinsam mit anderen in Berlin organisiert hat. Anlässlich des Weltflüchtlingstages wollen sich die Aktivisten gegen die Kriminalisierung der Fluchtbewegungen und für die Schaffung legaler Fluchtrouten einsetzen. „Was wir derzeit erleben, ist keine Flüchtlingskrise. Es handelt sich um eine humanitäre Krise, die politisch gelöst werden muss“, so Theresa Leisgang. Für sie ist klar: „Je weiter der Sommer voranschreitet, desto mehr Flüchtlinge werden kommen.“