Über Europas Flüchtlingspolitik sollen Bürger und Kommunen entscheiden
Florian Gaertner/photothek.net
Der französische Präsident Macron hat in seinen Reden zu Europa, die er an der Sorbonne in Paris und an der Humboldt Universität in Berlin gehalten hat, grundlegende Reformen in der EU, ja sogar deren Neugründung gefordert. Mit diesem hohen Anspruch hat er Maßstäbe für die Debatte um die Zukunft der EU gesetzt.
SPD muss Europa sozial gestalten
Der wesentliche Adressat seiner Rede war die Bundesregierung, von der er sich eine sichtbare Unterstützung seiner Reformbemühung erhofft, die die EU stabiler und dynamischer zugleich machen sollen. Der jüngste deutsch-französische Gipfel hat nun zu einigen Vereinbarungen geführt, die den politischen Willen der beiden Regierungen für den künftigen Weg der EU andeuten. Gleichwohl bleibt die SPD gefordert, ihre eigenen Vorstellungen aufzuzeigen. Daher hat die Grundwertekommission schon vor einigen Monaten in einem grundlegenden Papier skizziert, wie eine sozialdemokratische Antwort auf die französischen Vorschläge aussehen könnte. Die Regierungsvereinbarungen müssen sich aus einer sozialdemokratischen Sicht daran messen lassen.
Die Grundwertekommission hält es für die historische Aufgabe der SPD in dieser Zeit, die Globalisierung sozial zu gestalten. Eine sozialdemokratische Politik, die sich dem Grundwert der Solidarität verpflichtet sieht, strebt nach einer transnationalen Politik, die den Wohlstand und die Sicherheit aller erhöht. Damit setzt die SPD auf eine sozial gestaltete Offenheit, wo andere nach Abgrenzung und Rückzug aufs Nationale rufen. Im Konkreten heißt dies, die Beziehungen in der EU und im gemeinsamen Währungsraum müssen vertieft werden. Aber dies muss in einer Weise geschehen, die letztlich allen zugutekommt und nicht nur einer supranationalen Elite. Im Gegenteil, Europa muss zu einer Angelegenheit breiter Schichten der Zivilbevölkerung werden, die sich ihre Rechte und ihre politischen wie wirtschaftlichen Vorstellungen in Europa erstreitet.
Flüchtlingspolitik von zentraler Bedeutung
Die Vertiefung der europäischen Beziehungen entsteht am ehesten, indem gemeinsame Vorhaben durchgeführt werden. Von zentraler Bedeutung ist gegenwärtig – und dies zeigt in geradezu dramatischer Weise der Streit mit der CSU innerhalb der Bundesregierung –, eine europäische Lösung für den Umgang mit Flüchtlingen und Migration zu finden. Eine Einigung zwischen den Regierungen der EU hierfür zu finden, die mehr als ein Formelkompromiss ist, erscheint auf absehbare Zeit aussichtslos. Von daher ist es sinnvoll, die Regierungen von dieser Aufgabe zu entbinden und sie in die Hand der Bürger zu legen.
Dies kann in zwei Schritten erreicht werden. Als erstes beschließen die Regierungen einen gut ausgestatteten kommunalen Integrations- und Entwicklungsfonds einzurichten. Und als zweites verpflichten sie sich, die Flüchtlinge willkommen zu heißen, die von den Kommunen aufgenommen werden, die im Gegenzug Ansprüche auf Mittel aus dem Fonds erheben können.
Bürger eher für offenes Europa als Regierungen
Mit dieser Doppelentscheidung werden einerseits die Regierungen von der Pflicht entbunden eine wahrscheinlich ohnehin unmögliche gemeinsame Entscheidung über das Ausmaß an gewünschter Offenheit gegenüber Migration zu treffen. Andererseits bestimmen nun die Kommunen und ihre Bürger wieviel Offenheit sie wirklich wünschen, wenn ihnen gleichzeitig die Mittel gegeben werden, die daraus resultierenden Integrationsaufgaben zu bewältigen und darüber hinaus in gleicher Höhe, um ihre Kommune zu entwickeln. Erfahrungsgemäß dürfte das Europa der Bürger ein offeneres Europa sein als das der Regierungen. Die Ergebnisse des deutsch französischen Gipfels schließen eine solche Lösung im Übrigen nicht aus.
Neben diesem zentralen Projekt sind aber viele weitere die Integration vertiefende Vorhaben zu empfehlen. Sie sollten nicht zuletzt auch die Währungsunion stärken. Dies kann durch die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds, einer gemeinsamen Rückversicherung der Arbeitslosenversicherungen, die Vollendung der Bankenunion, einen europäischen Finanzminister mit Investitionsbudget, den sozialökologischen Umbau der europäischen Wirtschaft und vieles andere mehr geschehen.
Widerstand leisten gegen Rückbau der EU
Manche Vorhaben wie die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds und die Vollendung der Bankenunion sind seit dem deutsch-französischen Gipfel bereits in die Positionen beider Regierungen eingeflossen. Dies ist schon ein spürbarer Fortschritt, der von der SPD auch offensiv vertreten werden sollte. Damit grenzt man sich insbesondere von jenen ab, die wie die CSU auf den Kurs eines nationalen Rückbaus der EU eingeschwenkt sind. An dessen Ende steht ein weniger offenes, weniger einflussreiches und insgesamt weniger lebenswertes Europa. Dem müssen sich Sozialdemokraten widersetzen.
ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Duisburg-Essen. Er gründete und war von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.