"Die Rede von Präsident Assad ist auf das Schärfste zu verurteilen. Sie zeugt von einer inakzeptablen Ignoranz gegenüber den rechtmäßigen friedlichen Protesten für mehr Freiheit und Demokratie," sagt Burkhard Lischka (SPD) von der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Stattdessen holte der syrische Präsident erneut wortstark gegen die Demonstranten in seinem Land aus. Sie seien Kriminelle und Extremisten, wollten Chaos und Gewalt, töteten im Namen der Religion und massakrierten Sicherheitskräfte. "Keine Reform durch Sabotage und Chaos," lehnte Assad die Proteste ab.
Furcht vor Bürgerkrieg
Seine dritte Stellungnahme wandte sich vor allem an die noch schweigende Mehrheit der Bevölkerung. Assad suchte sich als starker Präsident zu zeigen und Gerüchte um seine herausragende
Stellung zu zerstreuen. Dabei spielt er weiterhin mit der Angst der Bevölkerung vor Instabilität und Chaos. Denn Syrien ist äußerst heterogen. Die sunnitische Mehrheit, Christen und Drusen werden
seit 1963 von der Religionsgemeinschaft der muslimischen Alawiten regiert, die jedoch nur sechs Prozent der Bevölkerung ausmacht. Die Mehrheit fürchtet sich vor einem Zusammenbruch des
Gleichgewichtes, der im benachbarten Irak zu Hunderttausenden von Flüchtlingen und einem Bürgerkrieg geführt hatte.
Nur eine kleine Gruppe von Demonstranten kann sich bislang der präsidialen Instrumentalisierung der Angst entziehen und ging nach der Rede erneut auf die Straße. Der Präsident will die Lage aussitzen, während er seine Macht über Armee und Geheimdienste weiter zementiert - und mit massiver Gewalt gegen die Opposition vorgeht, so die Kritik.
Strategie der Verwirrung
Seit Beginn der Proteste im März sind nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen mehr als 1.500 Menschen getötet worden. Die Stadt Daraa im Süden des Landes wurde
eingekesselt und ausgehungert, Hunderte Demonstranten starben. Knapp 10.000 Syrer sind in die benachbarte Türkei geflohen. Die nördlichen Teile des Landes sind Bürgerkriegsgebiet, bis zu 30.000
Soldaten greifen eine Ortschaft nach der anderen an und versetzen die Bevölkerung in Angst und Schrecken.
Dabei wendet die syrische Regierung gezielt eine Strategie der Verwirrung an. Einerseits geht sie mit äußerster Brutalität gegen vereinzelte Orte vor, um Angst und Schrecken zu verbreiten, andererseits zeigt sie sich nachgiebig und versöhnlich. Während der Norden und Nordwesten eingeschüchtert werden, ziehen sich die staatlichen Sicherheitsdienste aus anderen Städten zurück. In der Hauptstadt Damaskus kommt es regelmäßig zu friedlichen Demonstrationen - ohne große Vorfälle. Präsident Assad kann so gleichzeitig Angst verbreiten und sich als friedliebend inszenieren.
Revolutionsrat gegründet
Opposition und Proteste sind schlecht organisiert, erst am Sonntag hat sich ein Revolutionsrat gegründet, der nun versucht, die verschiedenen Interessen auszuloten und ein einheitliches
Programm zu finden. Dabei muss vor allem eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie das Gleichgewicht zwischen den unterschiedlichen religiösen Gruppen beibehalten werden kann, um endlich
die kritische Masse für einen Sturz Assads zu gewinnen.
Der Weg zurück zu Versöhnung, Dialog und Kompromiss ist mit der dritten Rede des syrischen Präsidenten jedoch in noch weitere Ferne gerückt. Die Rede Assads enthielt keinerlei Anzeichen für einen Übergang zu einer echten Demokratie oder die Aufgabe des Machtmonopols. Demonstranten und Präsident scheinen auf eine Machtprobe bis zur Erschöpfung einer Seite zuzusteuern. Die internationale Gemeinschaft verschärft zwar die Sanktionen, allerdings ohne sichtbare Effekte.
"Die internationale Gemeinschaft muss den Druck auf die syrische Regierung aufrecht erhalten und verstärkt darauf drängen, dass Gewalt und Repressionen gegen die Demokratiebewegung in Syrien gestoppt werden. Außerdem muss es eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle geben, beispielsweise im Rahmen der UN," sagt Burkhard Lischka. Angesichts der Lage in Libyen ist von einer weiteren westlichen Intervention jedoch nicht auszugehen, Russland lehnt eine verurteilende Resolution Syriens im UN-Sicherheitsrat ab. "Eine Intervention kann ausschließlich auf Grundlage eines UN-Mandats erfolgen. Diese Voraussetzung haben wir derzeit nicht und werden sie auchnicht bekommen," so Lischka.
Alles hängt also daran, wie die kritische Mehrheit der syrischen Bevölkerung sich entscheidet - für Assad oder für die Revolution oder ob Assad doch noch zu wirklichen Reformen bereit ist. In Syrien herrscht auch drei Monate nach dem verspäteten Anschluss an den Arabischen Frühling eine Patt-Situation vor, die weiterhin hunderte Opfer kostet.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.