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Syrien-Invasion: Mützenich fordert Druck der NATO auf Ankara

Rolf Mützenich, Vizechef der SPD-Bundestagsfraktion, übt scharfe Kritik an der Türkei. Der Einmarsch Ankaras in Syrien belaste die Glaubwürdigkeit der NATO als Wertegemeinschaft, so Mützenich im vorwärts-Interview. Ankara könne sich bei seiner Militärintervention nicht auf ein Selbstverteidigungsrecht berufen.
von Lars Haferkamp · 20. März 2018
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Rolf Mützenich, die Kritik in Deutschland am türkischen Militäreinsatz im syrisch-kurdischen Afrin wächst. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Offensive der Türkei?

Wir haben kein vollständiges Lagebild, aber die Informationen, die uns seit Wochen erreichen, scheinen doch darauf hinzudeuten, dass die türkischen Streitkräfte und insbesondere die mit ihnen vorrückenden nichtstaatlichen Gruppen, auch massiv gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Für Staaten gilt das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen. Nur in Ausnahmesituationen kann diese Regel, etwa durch das Recht zur Selbstverteidigung, kurzfristig ausgesetzt werden. Es gibt berechtigte Zweifel, dass ein Angriff durch die syrischen Kurden auf die Türkei erfolgt ist oder eine direkte Bedrohung türkischen Staatsgebietes vorliegt. Weder die Verhältnismäßigkeit noch die Dauer des türkischen militärischen Vorgehens dürften für die Begründung der Selbstverteidigung ausreichen.

Es gibt Berichte über massive Vertreibungen und Plünderungen in Afrin, an denen unter den Augen des türkischen Militärs auch Mitglieder der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) beteiligt sein sollen. Wie bewerten Sie das?

Auch diese Berichte liegen uns vor. Wir nehmen diese sehr ernst und erwarten, dass dem nachgegangen wird. Deswegen muss die türkische Regierung unabhängigen Beobachtern Zugang zum Kriegsgebiet gewähren. Voraussetzung ist eine überprüfbare Waffenruhe. Allerdings gibt es auch Berichte unabhängiger Organisationen, dass auch kurdische Einheiten in der Vergangenheit wiederholt Menschenrechtsverletzungen begangen haben.

Müsste die Bundesregierung angesichts der dramatischen Lage nicht eindeutiger Stellung beziehen als bisher und auch Konsequenzen ziehen?

Der Bundestag hat mehrfach seine Haltung zum Einsatz der türkischen Streitkräfte in Syrien geäußert. Die Bundesregierung ist daher gut beraten, auch diese Argumente in die Beurteilung ihrer Türkeipolitik einzubeziehen. Deutschland bewirbt sich um einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Missachtung völkerrechtlicher Regeln auch von einigen ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat, sollte die Bundesregierung dem Völkerrecht in ihrer Kandidatur noch stärkeres Gewicht durch eine klare Haltung beimessen.

Die Türkei ist NATO-Mitglied. Wie passt das türkische Agieren zu den Werten des Bündnisses?

Aus meiner Sicht belastet das türkische Vorgehen die Glaubwürdigkeit des NATO-Bündnisses als „Wertegemeinschaft“. Nach meinem Kenntnisstand konnte die türkische Regierung auch innerhalb der NATO keine überzeugenden Beweise für das von ihr in Anspruch genommene Selbstverteidigungsrecht vorlegen.

Wie bewerten Sie das weitgehende Schweigen der nordatlantischen Allianz zur türkischen Operation in Afrin?

Die NATO könnte und sollte durchaus stärkeren Druck auf den türkischen Bündnispartner ausüben.

Müsste der Militäreinsatz Ankaras nicht auch stärker Thema für die UNO und den Weltsicherheitsrat sein?

Der UN-Sicherheitsrat hat bereits mit der Resolution 2401 ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen gefordert. Das war ein wichtiges Signal. Allerdings hat die russische Regierung den türkischen Streitkräften, vor allem im Luftraum über Nordsyrien, deren Vorgehen weiter ermöglicht.

Beim türkischen Militäreinsatz geht es auch um den Einsatz deutscher Waffen und damit um die Frage deutscher Waffenlieferungen an die Türkei. Wo sehen Sie hier Handlungsbedarf?

Solange die Türkei in Syrien interveniert, sollte Deutschland keine Waffen an das Land liefern.

 

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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