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"Staatliche Investitionen ausweiten"

von Karsten Wiedemann · 5. Januar 2009
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vorwärts.de: Die Rufe nach mehr staatlicher Ordnung und besserer Kontrolle der Finanzmärkte kommen nun von allen Seiten. Besteht die Gefahr eines neuen Zentralismus?

Schackmann-Fallis: Die deutsche Wirtschaftsordnung basiert einerseits auf Märkten mit freier Preisbildung, andererseits ist eine starke Stellung des Staates in Bezug auf Wettbewerbssicherung und Eingriffen bei Marktversagen vorgesehen. Eine gut funktionierende Bankenaufsicht gehört zu den zentralen Eckpfeilern eines langfristig funktionierenden Finanzsystems. Wenn jetzt im Zuge der Aufarbeitung der Finanzmarktkrise Änderungen im Regulierungsbereich vorgenommen werden, dann ist dies kein Zentralismus, sondern ein notwendiger Schritt, um den Ordnungsrahmen neu zu justieren.

Kann der Staat beziehungsweise die internationale Staatengemeinschaft die Erwartungen, die nun an sie gestellt werden, überhaupt erfüllen?

Mitte November sind auf dem Weltfinanzgipfel sehr ehrgeizige Projekte und Maßnahmen abgesteckt worden. Für besonders lobenswert halte ich die Perspektive, dass blinde Flecken bei der Aufsicht, wie etwa bei Offshore-Zentren, Hedgefonds, Zweckgesellschaften und Rating-Agenturen, beseitigt werden sollen. Ob die Umsetzung zeitnah und zielgerichtet erfolgen wird, hängt von dem Willen der Staatengemeinschaft ab. Historisch betrachtet, waren Krisenzeiten oftmals eine günstige Konstellation, um zwischenstaatliche Zusammenarbeit auszubauen und grundlegende Beschlüsse zu fassen.

Zur besseren Kontrolle von Bank- und Finanzgeschäften wird nun unter anderem eine europäische Bankenaufsicht gefordert. Mit welchen Befugnissen müsste diese ausgestattet sein, um eine effektive Kontrolle in den 27 EU-Staaten zu gewährleisten?

Ich glaube nicht, dass eine zentralisierte europäische Aufsicht leistungsfähiger sein würde als die derzeit dezentralisierten Kontrollinstanzen. Eine europäische Aufsicht hätte die Krise weder besser erkannt noch verhindert. Meine Befürchtung ist eher, dass damit eine schwerfällige und mit sich selbst beschäftigte Institution entsteht. Zudem wäre eine solch zentrale Behörde zu marktfern, um notfalls schnell und flexibel reagieren zu können.

Sinnvoll sind auf europäischer Ebene die vorgeschlagenen Aufsichts-Kollegien je grenzüberschreitend tätiger Institutsgruppe. Für falsch halte ich dabei jedoch Ansätze eines Lead Supervisors, weil dies in letzter Konsequenz zu erheblichen politischen Unstimmigkeiten zwischen den Nationalstaaten führen kann. Denn es fallen Aufsichtsentscheidung und Bail-out Funktion auseinander.

In Deutschland wird derzeit über ein zweites Konjunkturpaket beraten. Brauchen wir noch mehr öffentliche Investitionen als Konjunkturhilfen?

Die Konjunkturprognosen von Zentralbank, Regierung und verschiedenen Wirtschaftsforschungsinstituten lassen einen erheblichen Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion erwarten. Die realwirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise treffen die deutsche Volkswirtschaft in der Hauptsache durch das schwächere außenwirtschaftliche Umfeld sowie die gedämpfte Investitionsneigung. In diesem Kontext ist eine Ausweitung staatlicher Investitionen zweifelsohne richtig.

Zur Debatte stand auch die Ausgabe von sogenannten Konsumgutscheinen, um die Inlandsnachfrage anzukurbeln. Können diese Gutscheine einen nachhaltigen Impuls setzen?

Nach meiner Einschätzung ist eine Steigerung öffentlicher Investitionsausgaben der Variante 'Konsumgutscheine' vorzuziehen. Durch zusätzliche Investitionsausgaben des Staates kann nicht nur ein Nachfrageimpuls gesetzt, sondern auch das Produktionspotenzial der deutschen Volkswirtschaft langfristig gehoben werden. Ein Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sowie eine deutliche Anhebung der Bildung- und Forschungsausgaben verbindet Angebots- mit Nachfragepolitik. Hierbei sind rasche Vereinbarungen mit den Ländern wichtig, um im Bildungsbereich sowohl bauliche als auch personelle Verbesserungen zu erreichen.


Wäre nicht eine Senkung der Mehrwertsteuer sinnvoller, von der ja alle gleichermaßen profitieren?

Eine Senkung der Mehrwertsteuersätze stimuliert gesamtwirtschaftlich vorrangig den privaten Konsum. Ich bin der Überzeugung, dass ein Zuwachs staatlicher Ausgaben im Infrastruktur- und Bildungsbereich makroökonomisch ebenfalls Nachfrage erhöhend wirkt, jedoch gleichzeitig die Produktions- und Standortbedingungen verbessert. Zudem setzt die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung bezüglich der Pendlerpauschale bereits Impulse für den privaten Konsum, weil sie faktisch wie eine Vergabe von Steuerschecks wirkt.

Karl-Peter Schackmann-Fallis ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes und Vorstandsmitglied des Managerkreises der
Friedrich-Ebert-Stiftung
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Interview: Karsten Wiedemann

Autor*in
Karsten Wiedemann

Redakteur bei vorwaerts.de bis September 2009, jetzt Redakteur bei Neue Energie, dem Magazin des Bundesverbands für Windenergie

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