SPD-Europabeauftragter Bullmann: Corona-Bonds sollten kein rotes Tuch sein
Udo Bullmann, angesichts der Corona-Pandemie gibt es erneut eine Debatte über Euro-Bonds, also gemeinsame Anleihen bzw. festverzinsliche Wertpapiere der EU-Staaten. Was hält die SPD davon?
Wir müssen jetzt schnell die akute Krisensituation überwinden. Dazu braucht es pragmatische Lösungen, die verhindern, dass Länder in katastrophale Schieflagen geraten. Der Vorschlag von Olaf Scholz, den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM ohne die sonst üblichen und in der aktuellen Situation vollkommen deplatzierten harten Sparauflagen zu nutzen, ist dabei ein gangbarer und effektiver Weg.
Daneben brauchen wir weitere Instrumente wie Gemeinschaftsanleihen, eine Verstärkung der Aktivitäten der Europäischen Investitionsbank (EIB) und eine gemeinsame Arbeitslosenrückversicherung.
Nach Ende der Corona-Krise, müssen wir Europa langfristig gut aufstellen. Bekannte Herausforderungen wie Klimawandel oder Digitalisierung sind dann nicht plötzlich aus der Welt. Die Frage wird nicht sein, ob wir das über den ESM, gemeinsame Bonds oder die Arbeitslosenrückversicherung lösen. Wirklich stabil und fortschrittsfähig wird Europa erst sein, wenn insbesondere die Eurozone klug vertieft und unter anderem mit eben solchen Instrumenten ausgestattet ist.
Wären Euro-Bonds eine Vergemeinschaftung von Schulden, was nach den bisherigen Euro-Verträgen ja ausgeschlossen ist?
Natürlich ist es nicht zulässig, dass ein Land seinen Partnern in der Währungsunion die Übernahme von Verbindlichkeiten aufzwingt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es nicht freiwillige Initiativen zur gemeinsamen Beschaffung von Kapital oder zur Ausgabe von Anleihen geben kann. Eine stabile und auf Fortschritt getrimmte Währungsunion ist kein Selbstläufer, sondern bedarf einer klugen, vorausschauenden und auf sozialen wie wirtschaftlichen Zusammenhalt ausgelegte Politik. Wie eine solche Politik aussieht, muss Gegenstand einer Debatte werden, die wir ohne Scheuklappen führen. Instrumente zur gemeinsamen Aufnahme von Schulden, die sehr sinnvoll sein können, sollten dabei kein rotes Tuch sein.
Das besonders schwer von der Corona-Pandemie gebeutelte Italien kritisiert mangelnde Solidarität der EU-Partner. Ist diese Kritik berechtigt?
Wenn in Italien die Sprache „vom hässlichen Europa“ ist, muss das uns allen zu denken geben. Jetzt muss die Stunde der Solidarität schlagen. Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz oder Burkhard Jung in Leipzig haben mit der Aufnahme von Corona-Patienten aus Frankreich vorgemacht, wie das geht. Auch wurden ja bereits italienische Patienten nach Deutschland ausgeflogen. Da bewegt sich was, das gibt mir Hoffnung. Und das nehmen auch unsere Freundinnen und Freunde in Italien – und überall in Europa – wahr.
Es scheint, als schlage in der Corona-Krise die Stunde der Nationalstaaten und nicht Europas. Oder täuscht dieser Eindruck?
In Krisensituationen handeln Nationalstaaten da, wo sie direkte Kompetenzen haben – die haben sie in der Gesundheitspolitik. Aber Europa hat eine Reihe von Möglichkeiten und muss handeln.
Die EU-Kommission hat richtige Schritte unternommen, etwa die vorübergehende Aussetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, damit die Mitgliedstaaten in ihre Gesundheitssysteme investieren können oder auch die verstärkte Förderung von Forschung für Impf- und pharmazeutische Wirkstoffe.
Im März haben wir im Europaparlament, in einem bisher nicht dagewesenen Verfahren der Fernabstimmung, Änderungen der Regeln für die Europäischen Strukturfonds und den EU-Solidaritätsfonds abgestimmt und damit 37 Milliarden Euro freigesetzt. Diese helfen den Menschen unmittelbar, überall in Europa. Auch richtet die EU einen Vorrat an medizinischer Ausrüstung ein. Dazu gehören Masken, Impfstoffe und Beatmungsgeräte. In diesem Geiste müssen wir weiterarbeiten.
Ungarns Regierungschef Orban nutzt die Krise, um die Teilung der Gewalten, ein Grundprinzip der Demokratie, auszuhebeln. Müsste die EU hier nicht stärker reagieren?
Die Sondervollmachten, die sich Viktor Orbán vom ungarischen Parlament hat geben lassen, sind ein weiterer trauriger Schritt in der Zerstörung der Demokratie in einem Mitgliedstaat der EU. Orbán nutzt die Corona-Pandemie, um Parlamentarier zu entmachten und weiter an seiner Alleinherrschaft zu bauen. Dass EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sich erst nach Tagen des öffentlichen und politischen Drucks „besorgt“ über die Entwicklungen in dem Land zeigt, ist erschreckend. Seit Jahren schon höhlt Orbán die Demokratie in Ungarn aus. Damit muss Schluss sein. Die Kommission muss nun schnell die nächsten politischen und juristischen Schritte einleiten. Der Rechtsstaat darf kein weiteres Opfer von Corona werden.
Wie bewerten Sie bisher in der Corona-Krise das Agieren der EU und von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?
Vieles, was Ursula von der Leyen dieser Tage macht, wirkt arg zögerlich, während es zwischen den Mitgliedstaaten, gerade in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, hoch her geht. Die Kommissionsspitze kann aber nicht einfach still zusehen, wenn nebenan im Rat die Fetzen fliegen. Hier braucht es kreative wie pragmatische Lösungsansätze, die Blockaden verhindern und den gordischen Knoten durchschlagen. Davon ist Frau von der Leyen derzeit aber recht weit entfernt. Ich erwarte deutlich mehr Mut und Antrieb im Handeln – sonst kann es in dieser Krise noch richtig brenzlig werden.
Sigmar Gabriel nennt die EU in der Corona-Krise „Schönwetter-EU“, „denn in der größten Bewährungsprobe seit ihrer Gründung versagt sie bisher vollständig.“ Was würden Sie ihm antworten?
Dass die EU schneller hätte reagieren können ist unbestritten, gerade von der Kommission erwarte ich, wie gesagt, mehr. Es geht aber nicht darum, Europa jetzt für seine Schwächen und eventuelle Fehler zu kritisieren. Vielmehr müssen wir alle dafür arbeiten, dass Probleme behoben werden und wir gemeinsam gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Dass wir für die Zukunft noch eine lange Liste mit einigen großen Aufgaben haben, ist allen bewusst. Um diese zu bewältigen braucht es ein Mehr an Solidarität und konsequenter europäischer Politik. Beides wird die SPD einfordern.