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So bedroht ist die Zukunft der britischen Labour-Party

Entwickelt sich Labour weiter zu einer Protestpartei? Oder zurück zu einer Regierungspartei? Auch darüber entscheidet die Urwahl des Labour-Chefs. Der Sieger muss eine Partei einen, der die offene Spaltung droht. Für Labour stellt sich die Überlebensfrage, sagt der Politologe Henning Meyer*.
von Lars Haferkamp · 23. August 2016
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Die Labour-Party startet mit einer neuen Urwahl des Parteivorsitzenden und viele Beobachter sprechen von einer bevorstehenden Spaltung der Partei. Was ist da los, Herr Meyer?

Die Situation ist dramatisch, weil es tatsächlich um die Zukunft der Partei geht. Zum zweiten mal innerhalb von zwei Jahren wird der Parteivorsitzende per Urwahl neu gewählt. Dabei stehen sich die beiden Lager für oder gegen Parteichef Jeremy Corbyn unversöhnlich gegenüber. Und ausgerechnet in der aktuellen Lage fällt Labour so als Opposition in Westminister aus.

Das heißt in einer Situation, in der mit dem Brexit grundlegende Weichenstellungen für die Zukunft Großbritanniens und Europa erfolgen. Besser könnte es ja für die britischen Konservativen und Premierministerin Theresa May gar nicht laufen, oder?

So ist es, zur Zeit gibt es keine effektive Labour-Opposition. Der weitgehende Ausfall Labours betrifft dabei nicht nur den Brexit und die anstehenden Verhandlungen mit Europa, sondern auch Schottland und ein weiteres mögliches Referendum der Schotten. Alles eminent wichtige Fragen, die die Weichen im Vereinigten Königreich für die nächsten Jahrzehnte stellen werden und die eine klare Positionierung der Opposition erfordern. Ein denkbar schlechter Zeitpunkt für einen innerparteilichen Machtkampf.

Anlass für die aktuelle Krise war ja das Votum für den Brexit und das Agieren von Labour-Chef Jeremy Corbyn in dieser Frage. Was genau ist da schief gelaufen?

Corbyn hat schlicht seine Rolle in der Kampagne, also für den Verbleib in der EU, nicht gespielt. Er galt schon vorher als Euroskeptiker. Im Wahlkampf hat er kaum Termine für Europa wahrgenommen. Im Wahlkampf hat er durchblicken lassen, dass er mit einem Brexit leben könne. Seine Kritiker in der Labour-Party haben ihm vorsätzliche Sabotage vorgeworfen.

Dies hat die Unterhaus-Fraktion von Labour zum Anlass genommen, Corbyn mit einer Mehrheit von über 80 Prozent das Misstrauen auszusprechen. Ein einmaliger Vorgang.

Das hat ihn aber nicht dazu gebracht, zurückzutreten. Er kämpft um die Macht, die er sich nun in der Direktwahl des Parteivorsitzenden bestätigen lassen will. Damit gibt es eine Art Spaltung der Partei zwischen der Fraktion auf der einen Seite und der Parteibasis und der Gewerkschaften auf der anderen Seite. An der Basis ist der Protestkurs Corbyns populär, er hat zu zahlreichen Neueintritten in die Partei geführt. Die Parlamentsfraktion dagegen will Politik machen, sie fordert konkrete Konzepte und Lösungen, die Corbyn aber schuldig bleibt. Ihm reicht der Protest. Auch die Debatte im Unterhaus oder die Führung der Fraktion sind seine Sache nicht.

Wie sehen Sie die Zukunft von Labour? Wer gewinnt die Urwahl am Ende September?

Die Spaltung zwischen Fraktion und Parteibasis ist eine sehr gefährliche Gemengelage. Das gilt ebenso für die Abkoppelung der Parteibasis von der eigenen Wählerschaft, die den Protestkurs Corbyns nicht umfangreich unterstützt. Beides bedroht die Zukunft von Labour existentiell. Die meisten Beobachter rechnen mit einem Sieg Corbyns über Owen Smith, einen Vertreter der gemäßigten Sozialdemokraten in der Unterhausfraktion.

Würde damit Ruhe einkehren und der Konflikt befriedet werden?

Das glaube ich nicht, denn damit wäre ja kein einziges Problem Labours gelöst. Im Gegenteil, es würde alles noch schlimmer werden: Der Weg Labours zu einer Protestpartei, die nicht ausreichend in der Lage ist umsetzbare Alternativen zur Regierung zu erarbeiten, würde wohl weitergehen. Eine solche Partei wird mit Sicherheit nicht in die Regierung gewählt, das zeigen auch alle Umfragen der letzten Monate. Der Parteivorsitzende Corbyn findet ja nicht einmal genug Mitglieder in seiner Fraktion, die in sein Schattenkabinett eintreten wollen.

Wäre der Sieg Corbyns also der Anfang vom Ende der Regierungsfähigkeit Labours?

Das ist zu befürchten. Corbyn fokussiert auf Protestieren und nicht auf realistische Alternativkonzepte. Sein Sieg wäre möglicherweise der Auftakt zu einer offenen Spaltung der Partei. Zumindest wird sich ihr Wesen wohl nachhaltig verändern. Damit stellt sich die Überlebensfrage für Labour. Am 24. September, wenn der Sieger der Urwahl auf einer Parteikonferenz in Liverpool bekannt gegeben wird, wissen wir mehr.

 

* Der Politologe Dr. Henning Meyer arbeitet an der London School of Economics und Political Science (LSE). Er ist Herausgeber der Zeitschrift „Social Europe“ und Mitglied der SPD-Grundwertekommission.

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Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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