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Schwedens Sonderweg in der Corona-Krise: Appelle statt Lockdown

Der schwedische Sonderweg in der Corona-Krise ist umstritten, doch liege der Unterschied zu anderen Ländern nur im Ton. Die Straßen sind leer, wer kann, bleibt zu Hause, erklärt Philipp Fink von der FES in Stockholm.
von Vera Rosigkeit · 9. April 2020
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Wie reagieren die Menschen in Schweden auf die neuesten Entwicklungen?

Die Schwed*innen halten sich größtenteils an die Appelle der Regierung. Jeder Einzelne übernimmt damit Verantwortung für die Gesellschaft. In Stockholm sind im Moment so wenige Menschen unterwegs, wie sonst nur im Juli während der langen Sommerferien. Viele Geschäfte sind geschlossen oder haben verkürzte Öffnungszeiten. Busse und Bahnen sind relativ leer. Wer kann, arbeitet von Zuhause. Die großen Einkaufszentren haben kaum Kundschaft.

Arbeitslosigkeit rasant gestiegen

Sicherlich werden die täglichen Meldungen über die nachgewiesenen Infektionen, die Belastung der Krankenhäuser und die Zahl der Todesfälle mit Sorge verfolgt. Ebenso machen sich die Menschen über die wirtschaftlichen Folgen Sorgen. Denn in Schweden wie in den anderen Ländern Europas ist die Arbeitslosigkeit seit Anfang März rasant gestiegen. Kritik an dem vermeintlichen schwedischen Sonderweg wird zwar von Fachleuten und dem Ausland geäußert, aber nach wie vor genießt die Regierung für ihren gewählten Kurs im Umgang mit der Pandemie eine hohe Zustimmung in der Bevölkerung. Die Krise hat das schwer politisch polarisierte Land zusammengeschweißt.

Sind die Schwed*innen weiterhin gelassen?

Waren sie das? Schweden unterscheidet sich zu den anderen Ländern höchstens im Ton. Ja, einen Lock-Down wie in Deutschland hat es bis jetzt noch nicht gegeben. Doch die Bilder der vollen Cafés in den Innenstädten täuschen. Homeoffice-Empfehlungen werden befolgt. Besuche in Altenheimen und in Krankenhäusern sind untersagt. Von Reisen ins Ausland und im Inland wird dringend abgeraten.

Chefepidemiologe Anders Tegnell sieht seinen Kurs bestätigt. Die Pandemie nehme in Schweden einen ähnlichen Verlauf wie im benachbarten Dänemark. Die Zahlen des Amts für Volksgesundheit zeigten außerdem, dass die saisonalen Magen-Darm- oder Grippeerkrankungen zurückgegangen seien, was als Hinweis auf die Wirkung der verschärften Hygienevorschriften zurückzuführen ist.

Kitas und Schulen bis zur 8. Klasse bleiben offen

Laut Tegnell, bedeuten diese Zahlen auch, dass die Ausbreitung des Corona-Virus eingedämmt werde. Ja, die Kitas und die Schulen bis zur 8. Klasse bleiben offen, aber aus sozialen Gründen. Denn zum einen soll der normale Schulbetrieb verhindern, dass die Eltern auf die Großeltern zur Betreuung der Kinder zurückgreifen. Zum anderen verweisen Expert*innen auf den Schutz des Kindeswohls. Auch in Schweden garantieren die Schulen für viele Kinder die einzigen geregelten Mahlzeiten und Schutz vor Gewalt in Familien.

Was ist von Seiten der Regierung geplant?

Trotz der im Vergleich zu anderen Ländern zurückhaltenden Vorgehensweise im Umgang mit der Pandemie, bemüht sich die Zentralregierung in Stockholm im Moment um die Ausstattung mit weiteren Sonderbefugnissen durch das Parlament. Zurzeit verhandelt die Regierung mit den Oppositionsparteien.

Zusätzliche Machtbefugnisse  erbeten

Ziel der Regierung ist es, dass sie vom Parlament Vollmachten für eine begrenzte Zeit (drei Monate) per Gesetz bekommt, um Versammlungs- und Bewegungsfreiheiten einzuschränken, direkte Zuständigkeiten über kritische Infrastrukturen wie Häfen und Eisenbahnen sowie die Gesundheitspolitik in den Regionen und den Kommunen zu erhalten und über die Ladenöffnungszeiten zu bestimmen. Die rot-grüne Minderheitsregierung betont, dass sie die zusätzlichen Machtbefugnisse nur bei einer Verschlechterung der Lage benötigt werden, um schnell Entscheidungen treffen zu können.

Wie wird man in diesem Jahr in Schweden Ostern feiern?

Genauso wie in anderen Ländern auch werden die Schwed*innen die Ostertage in der Hoffnung verbringen, dass die Pandemie bald ein Ende findet und dass sie möglichst wenige Menschenleben kosten wird. Der schwedische König hat vor kurzem in einer außergewöhnlichen weiteren Ansprache an das schwedische Volk den Gemeinsinn der Schwed*innen bekräftigt und an den Zusammenhalt und die Eigenverantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft appelliert.

Ferienhäuser bleiben leer

Er rief die Schwed*innen dazu auf, in diesem Jahr auf Besuche bei älteren Verwandten zu verzichten. Die Regierung hat den Menschen außerdem geraten, nicht in ihre Ferienhäuser im ländlichen Schweden zu fahren, um das Virus nicht zu verbreiten und um das örtliche Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Es ist davon auszugehen, dass die Schwed*innen sich an die Empfehlungen der Regierung halten werden.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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