International

Russlands fiktive Demokratie

von Jörg Hafkemeyer · 16. Dezember 2013

Russland hat eine Demokratie, doch das Volk hat keinen Einfluss auf Entscheidungen, so beschreibt Boris Kargalitzki die politische Lage in seinem Land. Zudem setzt sich die russische Staatsführung unter Wladimir Putin mit machtvollem Druck gegen die EU zur Wehr.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat seine Rede zur Lage der Nation gehalten. Seit 14 Jahren regiert er dieses riesige Land, dass über 515 Milliarden Dollar Devisenreserven verfügt, das mit 14 Prozent eine denkbar geringe Staatsschuldenquote und immense Bodenschätze hat. Das abgelaufene Jahr ist Putins erfolgreichstes: „Er hat seine Kontrolle über Russland festgezurrt“, schreibt das Magazin Forbes in seiner Begründung, warum es den russischen Präsidenten für den einflussreichsten Politiker der Welt hält. 

Über das aber der Leiter des Moskauer Instituts für Globalisierung und soziale Bewegungen, Boris Kargalitzki, sagt: „Ein echtes politisches Leben hat in Russland noch nicht begonnen.“ Wie Putin die Lage und sein Land sieht, hat er in seiner Ansprache an die Nation so formuliert: „Wir beabsichtigen nicht, als Supermacht angesehen zu werden, also als globaler oder regionaler Hegemon.“ Das klingt zurückhaltend, ja realistisch, gilt aber nicht für jene Länder, die zum Einflussbereich Russlands gehören, wie beispielsweise die Ukraine.

Europa wächst und Russland fühlt sich isoliert

Aus der Sicht der russischen Regierung ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten etwas eingetreten, was niemals hätte eintreten dürfen. Insgesamt 12 Staaten aus dem ehemaligen Warschauer Pakt sind NATO-Mitglieder geworden, fünf sind potentielle Beitrittskandidaten. Angesichts dieser Tatsache sind EU-Assoziierungsabkommen mit Georgien, der Ukraine und Moldau aus Moskauer Sicht ein weiterer Schritt Westeuropas Russland einzukreisen, zu isolieren.

Mit machtvollem Druck setzt sich die russische Staatsführung daher gegen die EU zur Wehr, wie im Falle der Ukraine. Die ist in einer denkbar schwierigen innen- wie außenpolitischen Lage. Wladimir Putin weiß das und nutzt das aus. Er will nicht, dass die Ukraine in einen westlichen und einen östlichen Teil zerfällt, wie die Zeitung „Komsomolskaja Prawda“ kürzlich schrieb. Also setzt er auf Druck und Drohungen und Versprechungen. Die ukrainische Regierung hat er so eingeschüchtert. Im Falle von Georgien ist das misslungen. Ebenfalls im Fall Moldau.

Insofern ähnelt die Außenpolitik des Präsidenten, der 1999 zum ersten Mal ins Amt gewählt wurde, seiner Innenpolitik. Boris Kargalitzki formuliert das so: „Wir haben Demokratie. Aber sie ist fiktiv. Wir haben Wahlen, Gerichte und privates Eigentum. Aber das Volk hat keinen Einfluss auf die Entscheidungen.“ Es ist eine gelenkte Demokratie. Eine, die unter ihren Problemen ächzt und stöhnt. 

Oligarchen stellen ihren Reichtum schonungslos zur Schau

Das hat auch Wladimir Putin in seiner jüngsten Rede an die 143 Millionen russischen Bürger zugeben müssen, als er sagte, in Russland würden Reformen, Veränderungen und Unternehmergeist von der Bürokratie und von der Korruption erstickt. Hinzu kommt, dass das Land schlecht organisiert ist, was vor allem die staatlichen Institutionen betrifft. Es gibt weder einen funktionierenden Mittelstand noch eine Zivilgesellschaft: „Humanismus gibt es in Russland nicht, aber das Problem in Russland ist vor allem, dass es keine Solidarität gibt,“ meint Boris Kargalitzki. 

Das Land ist vertikal organisiert vom Kreml und von den Oligarchen, die ihren immensen Reichtum schonungslos zur Schau stellen. Nicht anders als im Zarentum. Es gibt eine ausgeprägte Fremdenfeindlichkeit gegen ehemals sowjetische Volksgruppen wie die Tschetschenen und es gibt eine ausgeprägte Ignoranz und Wut gegen Homosexuelle. Mit Blick auf sie wütete vor kurzem der neue Chef der vor kurzem gebildeten staatlichen Medienholding „Russland heute“, Dimitrij Kisseljow: „Ihre Herzen müssen verbrannt werden."

Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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