International

Rückkehr des Pharaos

von Jörg Armbruster · 28. Mai 2014

Ex-Militär Al Sisi gewinnt – Ägypten kann aber nicht auf eine bessere Zukunft hoffen

Der Favorit und höchstwahrscheinliche Wahlsieger ist nicht zu übersehen weil seit Wochen nahezu überall in Ägypten präsent. In den Großstädten genauso wie auf den Dörfern. Überlebensgroße Poster an den Wänden der Hochhäuser, schier endlose Reihen kleiner Plakate an den Straßenrändern, Banner zwischen Häusern, Fotos auf den Fensterscheiben vieler Autos. Selbst Boote auf dem Nil schmücken sich mit seinem Konterfeit. Immer das gleiche Motiv: ein Mann in ordensgeschmückter Uniform, gelegentlich auch in schwarzem Zivil, ernste Augen, freundliches Lächeln. Immer die gleichen Parole: „Wählt Abd al Fattah al Sisi!“ Private und staatliche Fernsehsender werben für ihn zur besten Sendezeit, Zeitungen preisen ihn ohne einen Anflug von Kritik, kritische Fragen gälten als Majestäts-Beleidung. Zum Beispiel die: „Warum soll ein in Politik und Wirtschaft unerfahrener Militär plötzlich in der Lage sein, ein wirtschaftlich ruiniertes und politisch gespaltenes Land zu retten. Hat er Wunderkräfte?“  Manche Ägypter unterstellen ihm das tatsächlich: Wunderkräfte, mit denen Al Sisi das darbende Land aus der wirtschaftlichen wie auch politischen Depression herauszaubern kann.

Sehr geringe Wahlbeteiligung

Und dennoch, wirklich euphorisch sind sie nicht, die meisten Ägypter bleiben zuhause. Ob aus Desinteresse nach sieben Wahlen in drei Jahren, ob der Boykottaufruf der Moslembrüder im Untergrund zündet oder ob es die Hitze ist, die Gründe sind im Augenblick schwer auszumachen. Die Wahlbeteiligung ist jedenfalls so gering, dass die Wahlkommission die Abstimmung um einen Tag verlängern musste, um so wenigstens eine einigermaßen ansehnliche Wahlbeteiligung zu erreichen.

Al Sisi – ein Militär wie er im Buche steht. Karriere unter Mubarak, an die Armeespitze von Präsident Mursi befördert, den er ein Jahr nach diesem Aufstieg aus dem Präsidentenpalast verjagte. Er sei nichts als der Vollstrecker des Volkswillens gewesen, hatte damals das Militär verkündet; denn vorausgegangen waren Massendemonstrationen gegen den Moslembruder. Nach diesem Umsturz hatte Al Sisi eine von ihm abhängige Übergangsregierung eingesetzt.

Kein Wunder, dass der Gegenkandidat, der linke Hamdin Sabahi, keine Chancen hatte dem General ernsthaft Paroli zu bieten. Zwar waren seine Wahlforderungen konkret: Soforthilfe für die Armen zum Beispiel, doch kaum jemand verbreitete diese Botschaft. Die meisten Medien ignorierten ihn. Die fragen allerdings auch nicht Al Sisi nach dessen Wahlprogramm - er hat nämlich so gut wie keines.

Keine Lösung für die Krise

An Versprechen dagegen mangelt es nicht: Sicherheit als erstes, Rückkehr der Touristen, Wirtschaftswachstum von mindestens 7% in den nächsten vier Jahren. Im Augenblick wächst die Wirtschaft am Nil um gerade mal 2 Prozent: Viel zu wenig um genügend Arbeits- und Ausbildungsplätze für die vielen Schulabgänger zu schaffen. Rund 40 Prozent der Menschen sind ohne Arbeit oder unterbeschäftigt. Doch wie er diese Herkulesaufgabe schaffen will, deutete Al Sisi in seinem Wahlkampf nicht einmal an. Auf den Internationalen Währungsfond will er offensichtlich nicht setzten; denn der verlangt einschneidende Reformen wie Kürzung der aufgeblähten Subventionen. 28 Prozent seines Haushaltes verschwendet der Staat für Subventionen. Von diesem Etatposten gibt er allein Zweidrittel aus, um den Benzinpreis künstlich niedrig zu halten. Umgerechnet auf den Gesamtetat Ägyptens heißt das: mit einem Viertel des Staatshaushaltes finanzieren die verantwortlichen Politiker die endlosen Staus und die Luftverpestung in den ägyptischen Städten - für Bildung und Gesundheit bleibt da nicht viel übrig.

Kritiker leben wieder gefährlich

Doch wer in diesem neuen Ägypten allzu laut diese Politik des ordensgeschmückten Wahlsiegers kritisiert oder gar gegen ihn demonstriert, wird schnell an das alte Ägypten erinnert. Kritiker leben wieder gefährlich am Nil. Zuvorderst die Moslembrüder selber, deren Präsident das Militär vor einem Jahr weggeputscht hatte. Von der nach dem Umsturz angekündigten Aussöhnung keine Spur! Stattdessen erklärte im Dezember des vergangenen Jahres ein Gericht in Kairo die Islamistenbewegung zu Terrororganisation, sie ist damit praktisch vogelfrei und jeder Polizeiwillkür ausgeliefert. Mehr als 16 000 Brüder sitzen im Gefängnis, hunderte verurteilte ein Gericht in Minia zum Tode, darunter fast die gesamte Führungsspitze. Ihren Zeitungen und Fernsehsender sind verboten. Wie viele Brüder in den Untergrund gegangen sind, lässt sich kaum abschätzen. Das Land  ist tief gespalten.

So gut wie jeder, der den Putsch gegen Mursi oder seine Folgen kritisiert oder gar zum Boykott der Wahlen aufruft, gerät schnell ins Visier des Sicherheitsapparates. Demokratie-Aktivisten, Journalisten, Gewerkschafter. Ende April verbot ein Gericht die Oppositionsbewegung „6. April“, die zu den wichtigsten Initiatoren der Tahrirplatz-Demonstrationen gehört hat. Einer der Gründer, Ahmed Maher, rief im November 2013 gegen das restriktive Demonstrationsrecht zum Widerstand auf, wurde zusammen mit anderen führenden Aktivisten verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.  Das Verbot der Bewegung im April begründete der Richter, die einstigen Helden des Tahrirplatz seien in Wirklichkeit Agenten ausländischer Mächte.

AI kritisiert Lage in Ägypten

Alles keine Einzelfälle. Amnesty International berichtet: „Dutzende Zivilisten sind verschleppt worden und werden seit Monaten in einem Lager des ägyptischen Militärs gefangen gehalten, wo sie gefoltert und misshandelt werden, um sie zu Geständnissen zu zwingen.“

Es ist schlecht bestellt um die Menschenrechte im neuen Ägypten, schlecht bestellt auch um die Wirtschaft und ebenso schlecht bestellt um den arabischen Frühling. „Unter dem alten Pharao war es nicht so schlimm“, flüstern einige Ägypter hinter vorgehaltener Hand und meinen damit die Mubarak-Zeit. Ob der neue Pharao, der mit seiner bunten Ordenspracht, dem freundlichen Lächeln und dem ernsten Blick, ob der wirklich eine Mehrheit hat im Land, eine die ihm die notwendige Legitimation gibt, ist allerdings fraglich angesichts der geringen Wahlbeteiligung.

Autor*in
Jörg Armbruster am Stand des vorwärts-Verlags auf der Frankfurter Buchmesse.
Jörg Armbruster

war langjähriger ARD-Korrespondent für den Nahen Osten.

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