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Regierungskrise in Italien: „Salvini möchte die Gunst der Stunde nutzen“

Nach nur gut einem Jahr steht die italienische Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und rechtsnationalistischer Lega vor dem Aus. Was das für Italien bedeutet und welche Rolle die sozialdemokratische PD spielen könnte, sagt Tobias Mörschel von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rom.
von Kai Doering · 13. August 2019
Italiens Ministerpräsident Guiseppe Conte: Auf dem EU-Gipfel will er sich wenig kompromissbereit zeigen.
Italiens Ministerpräsident Guiseppe Conte: Auf dem EU-Gipfel will er sich wenig kompromissbereit zeigen.

Italiens Innenminister und Vorsitzender der rechten Lega Matteo Salvini hat einen Misstrauensantrag gegen Ministerpräsident Giuseppe Conte angekündigt. Was treibt ihn dazu?

Salvini möchte die Gunst der Stunde nutzen und möchte so schnell wie möglich Neuwahlen abhalten. Bei den Parlamentswahlen 2018 hatte seine rechtsnationalistische Lega 17 Prozent der Stimmen bekommen und ist anschließend mit der populistischen Fünfsternebewegung, die seinerzeit 32,7 Prozent der Stimmen erhielt, eine Koalition eingegangen. Die selbsterklärte „Regierung des Wandels“ aus Lega und Fünfsternebewegung war von Anfang an ein ungleiches Machtbündnis, das nie wirklich zueinander gefunden hat und permanent zerstritten war. Innerhalb der 14-monatigen Regierungszeit haben sich Kräfteverhältnisse sehr schnell zugunsten der Lega verschoben, die zwar formal nur Juniorpartner in der Regierung war, aber die Fünf-Sterne-Bewegung sehr schnell gekonnt an die Wand gespielt hat. Gleichzeitig mit dem Höhenflug der Lega begann das Verglühen der Sterne. Bei den Europawahlen haben sich die Mehrheitsverhältnisse zwischen Lega und Fünfsternebewegung bereits umgekehrt.

Die Fünf-Sterne-Bewegung war verglichen mit den Profis der Lega, die aktuell immerhin die älteste Partei in Italien ist, geradezu eine Laienspielschar. Mangelnde politische und exekutive Erfahrung, ein fehlender innerer Kompass und inhaltliche Inkohärenzen haben ihr Übriges dazu beigetragen, dass sie eine leichte Beute Salvinis wurde. Salvini möchte jetzt die ganz Macht und forciert daher die Regierungskrise mit dem Ziel der Neuwahlen, um auf der Welle seine aktuellen Popularität einen möglichst großen Wahlsieg einzufahren. Umfragen sehen ihn bei bis zu 40 Prozent, was ihm aufgrund der Besonderheiten des italienischen Wahlrechts sogar Alleinregierung ermöglichen würde. Ganz so sicher hat Salvini den Wahlsieg allerdings noch nicht. In Italien kam schon so mancher Höhenflug vor einem jähen Absturz, wie jüngst das Beispiel von Matteo Renzi wieder lehrte. Salvini ist bewusst, dass je mehr Zeit ins Land streicht bis zu den Neuwahlen, durchaus die Gefahr seiner Entzauberung besteht, weshalb er sehr starken Druck ausübt, die Wahlen so schnell wie möglich abzuhalten.

Salvinis Noch-Koalitionspartner „Fünf Sterne“ ist gegen eine schnelle Neuwahl und erhält dafür Unterstützung von der sozialdemokratischen PD. Wie sehen Sie die Chancen, Salvinis Pläne aufzuhalten?

In der Tat ist die Situation aktuell sehr unübersichtlich, die Debatte dreht sich gerade stark um parlamentarische Verfahrens- und Geschäftsordnungsfragen. Davon hängt ab, ob und wann es zu Neuwahl kommt. In den Chor „So schnell wie möglich an die Urnen“ stimmen längst nicht alle Parteien ein, und es wächst der Widerstand sich dem Zeitdiktat Salvinis zu beugen. Grundsätzlich befürworten zwar die Partito Democratico wie die Fünf-Sterne-Bewegung die Durchführung von Neuwahlen, aber es beginnen zusehends Diskussion, ob diese wirklich notwendig sind oder ob nicht alternative Optionen möglich sind. Eine wichtige Rolle hat letztendlich der Staatspräsident Mattarella beim weiteren Verfahren zu: Er muss ausloten, ob ggf. eine andere Regierungsmehrheit zustande kommen könnte oder vielleicht für eine gewisse Zeit eine Expertenregierung installiert wird, was in Italien eine gewisse Tradition hat

Der frühere Ministerpräsident Matteo Renzi hat für den Übergang eine Expertenregierung vorgeschlagen. Ist das eine realistische Variante?

Matteo Renzi hat am vergangenen Wochenende ein geradezu waghalsiges Wendemanöver hinlegt. War er bis vergangenen Sonntag der erbittertste Gegner der Fünf-Sterne-Bewegung, der auch nun jeden Hauch der Annäherung zwischen PD und M5S im Keim zu ersticken suchte, fordert er nun gemeinsam mit eben dieser Fünfsternebewegung eine Regierung des Übergangs zu bilden. Dieser „governo istituzionale“ solle ein Parlaments- und Wahlrechtsreform verabschieden, den Haushalt 2020 verabschieden und Neuwahlen 2020 ermöglichen. Auch Beppo Grillo, der Gründungs- und Übervater der Fünfsternebewegung, hat sich für ein solches Vorgehen offen gezeigt, vom Parteivorsitzenden di Maio wird aber eine Zusammenarbeit mit Renzi abgelehnt. Recht unverhohlen droht Renzi mit einer Spaltung der Partei, falls sich die Parteispitze seinem Plan widersetzen sollte. Es wird sich erst in den kommenden Tagen zeigen, ob es dem Vorsitzenden der PD, Nicola Zingaretti, gelingt, die Partei zusammenzuhalten oder die PD das erste Opfer der Regierungskrise sein wird.

Die Koalition aus Lega und Fünf Sternen kam vor einem Jahr überraschend nach einer monatelangen Hängepartie zustande. Droht Italien nach einer Neuwahl eine ähnliche Situation?

Die Koalition der beiden sehr ungleichen Parteien kam nur deshalb zustande, weil sich die PD 2018 unter Renzi jedem Dialog mit der Fünf-Sterne-Bewegung verschlossen hatte. Da die beiden Parteien Lega und Fünfsternebewegung außer der Verachtung und Ablehnung der hergebrachten Politik wenig gemeinsam hatten, dauert es recht lange, bis sie zu einer gemeinsamen Koalition kamen, die dann nur 14 Monate halten sollte. Wenn die aktuellen Umfragen die zukünftigen Wahlergebnisse darstellen, wird die nächste Regierungsbildung sehr schnell von statten gehen. Entweder kann Salvini alleine regieren oder in Koalition mit den neofaschistischen Fratelli d’Italia und der Forza Italia von Berlusconi. Ein solche Bündes hat momentan in den Umfragen eine stabile Mehrheit von über 50 Prozent. Schlechte Aussichten für Italien und Europa!

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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