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Realpolitische Ernüchterung in Ägypten

von Romy Hoffmann · 9. März 2012

Februar 2011: Ägyptens Machthaber Husni Mubarak tritt zurück, die Revolution hat ihr größtes Ziel erreicht. Doch was ist ein Jahr später davon übrig geblieben? Die Journalistin Julia Gerlach hat sich mit der Zeit während und nach der Revolution in Ägypten beschäftigt und ein Buch darüber geschrieben.

Von der Euphorie der Protestierenden, wie sie noch vor wenigen Monaten überall im Lande zu spüren war, ist nicht viel geblieben. „Die Stimmung ist nicht mehr dieselbe, der Optimismus ist verflogen“, sagt die in Kairo tätige Journalistin Julia Gerlach. Sie hat die Aufständischen seit dem Beginn der Revolution im Januar 2011 begleitet. Mit ihrem Buch „Wir wollen Freiheit! Der Aufstand der arabischen Jugend“, das am 6. März in der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft vorgestellt wurde, versucht die Autorin die Menschen in Deutschland für die Situation in Ägypten zu sensibilisieren.

Warum hat sich die Stimmung in Ägypten so stark verändert? „Die Gesellschaft ist verunsichert“, sagt Gerlach. Der Sturz Mubaraks sei nur der Anfang der Revolution gewesen, jetzt müsse ein Systemwechsel stattfinden. „Das ist aber bis heute nicht geschehen.“ Vor allem die starke Militärregierung, die seit dem Sturz des Präsidenten regiert, erinnere massiv an das alte Regime, meint Gerlach.

Revolution im Privaten

Es scheint, als wolle das Militär die neuen Entwicklungen nicht kampflos akzeptieren. Die Journalistin erinnert an die Krawalle in einem Fußballstadion in Port Said Anfang Februar, die unter Verdacht stehen, von der Militärregierung koordiniert worden zu sein. Gerlach ist sich sicher, dass der herrschende Militärrat seine Macht nicht widerstandslos aufgeben wird.

Trotzdem habe die Revolution einen nachhaltigen Effekt auf die gesamte Gesellschaft ausgeübt. Ein Wandel habe vor  allem in den Familien stattgefunden. Junge Frauen beginnen sich zu emanzipieren, sie gehen gegen den Willen ihrer Eltern auf die Straßen und protestieren – und das Seite an Seite mit Männern. „Das war bisher undenkbar“, betont die Autorin. Frauen hätten im vergangenen Jahr an Selbstbewusstsein gewonnen und das werde nicht nur im Generationenkonflikt sichtbar. Auch die Beziehung zwischen Mann und Frau habe sich stark verändert. „Zum ersten Mal nehmen Männer ihre Frauen ernst und gehen auf deren Bedürfnisse ein.“ Diese Veränderung ist Gerlach in vielen Gesprächen bewusst geworden.

Orientierung an der Pragmatik

Die Parlamentswahlen Ende 2011 sieht die Journalistin als ein Indiz dafür, wie sehr sich auch die religiösen Gruppierungen in Ägypten verändert haben. Das wird am Beispiel der zwei stärksten politischen Parteien, die von der sunnitisch-fundamentalistischen Muslimbrüderschaft und den Salafisten ausgehen, deutlich. Sie mussten ihre Organisationen öffnen und liberalisieren. Es steht nicht mehr die Religion allein im Mittelpunkt. Vielmehr müssen sie sich mit politischen Themen wie der Demokratiefrage in Ägypten auseinandersetzen.

Sie müssten sich pragmatisch orientieren. Deswegen seien die nachhaltigen Veränderungen der fundamental-islamischen Gruppierungen eine Chance für das Land, die Religion zu reformieren, meint Gerlach. Allerdings dürfe sich niemand der Illusion hingeben, der Glaube werde verschwinden: „Die Revolution wird die Menschen nicht von ihrem Glauben abbringen.“ Dafür habe der Islam in Ägypten einen zu hohen Stellenwert.

Julia Gerlach, Wir wollen Freiheit! Der Aufstand der arabischen Jugend, Herder Verlag, Freiburg 2011, 200 Seiten, 16,95 Euro, ISBN: 978-3-451-33253-1

Autor*in
Romy Hoffmann

Romy Hoffmann ist Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Regensburg. Im Frühjahr 2012 absolvierte sie ein Praktikum in der Redaktion des vorwärts.

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