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Putins Krieg gegen die Ukraine: „Kinder und Jugendliche sind die Verlierer“

Am 24. Februar jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine zum zweiten Mal. Eine neue Studie der Kindernothilfe zeigt: Insbesondere die Erfassung und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder wird immer dringlicher.

von Finn Lyko · 23. Februar 2024
Daria Chekalova (Deputy Director beim Kindernothilfe-Partner NGO Girls, Ukraine.), Dr. Judith Striek (Advocacy Officer Kindernothilfe), Carsten Montag (Programmvorstand Kindernothilfe)

Daria Chekalova (Deputy Director beim Kindernothilfe-Partner NGO Girls, Ukraine.), Dr. Judith Striek (Advocacy Officer Kindernothilfe), Carsten Montag (Programmvorstand Kindernothilfe)

„Es geht um die psychische und physische Gesundheit der kommenden Generationen.“ Das betonen die Autor*innen einer neuen Studie der Kindernothilfe. Sie beziehen sich dabei auf die Situation von Kindern und Jugendlichen in der Ukraine. Seitdem Russland vor zwei Jahren sein Nachbarland überfiel, ereilen sie Schicksale, die man sich kaum vorstellen könne – so auch sexualisierte Gewalt. Gerade diese Fälle würden in der öffentlichen Debatte aber häufig außer Acht gelassen, so die Autor*innen. Das wollen sie nun ändern.

Unter dem Titel „Kindern ermöglichen, darüber zu sprechen“ befassen sich Judith Striek und Elias Dehnen mit dem Einsatz sexualisierter Gewalt gegen Kinder als Taktik des russischen Militärs. Dessen Auswirkungen seien vielschichtig, und könnten die ukrainische Gesellschaft noch viele Jahre nach Kriegsende beschäftigen, erklären Striek und Dehnen. Daher sei es umso wichtiger, schnellstmöglich Unterstützungsmöglichkeiten für die Betroffenen zu schaffen.

Hohe Dunkelziffer vermutet

Seit Beginn des Kriegs im Februar 2022 seien in der Ukraine 13 Fälle konfliktbezogener sexualisierter Gewalt durch russische Soldaten dokumentiert worden. Hinzu kämen 915 Fälle allgemeiner sexualisierter Gewalt. Man gehe jedoch von einer immens hohen Dunkelziffer aus, ergänzt Striek. So fehlten aus manchen Gebieten Daten, hinzu kämen eine mangelnde Aufklärung der Kinder und Angst der Betroffenen vor Stigmatisierung oder einer Täter-Opfer-Umkehr.

Es sei davon auszugehen, dass das wahre Ausmaß erst in den kommenden Jahren bekannt würde. Erfahrungsgemäß würden in ehemaligen Kriegsgebieten neue Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder auch noch 20 bis 30 Jahre später gemeldet werden, erklärt Daria Chekalova, Vertreterin der Partnerorganisation der Kindernothilfe, NGO Girls. Das ergäben die Zahlen von Organisationen in Ländern wie Bosnien und Ruanda, mit denen man in engem Austausch stehe.

Auf die Unterstützung Betroffener vorbereiten

Umso wichtiger sei es, sich auf eine solche Entwicklung vorzubereiten, um Betroffene angemessen unterstützen zu können. Hierzu müsse in erster Linie die notwendige Infrastruktur geschaffen werden, damit die Strafverfolgung der Täter, die Hilfsangebote für Betroffene und die Aufklärung der Bevölkerung sichergestellt würden, erklärt Chekalova. Bisher sei man vor Ort vor allem mit Entstigmatisierung und Aufklärung beschäftigt, die gerade in strukturell schwächeren Regionen eine große Herausforderung darstellten.

Denn auch eine solche soziale Dimension müsse beim Wiederaufbau mit bedacht werden, betont die Kindernothilfe. Der weiterhin andauernde Krieg in der Ukraine erschwere es zwar, allen Betroffenen Zugriff zu entsprechender Unterstützung zu gewährleisten – beispielsweise die neuen Ermittlungsleitlinien der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft, der die Überlebenden ins Zentrum stellt („survivor-centered-approach“) sei jedoch ein mutiger Schritt in die richtige Richtung.

Momente der Normalität schaffen

Auch das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF rückt zum Jahrestag des russischen Angriffs die Situation der Kinder in den Mittelpunkt. Dabei sei besonders wichtig, Momente der Normalität für die Kinder zu schaffen, hebt Christian Schneider, Geschäftsführer von UNICEF Deutschland, hervor. In den sogenannten Spilno-Zentren versuche man genau das. Sie sind Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche in der Ukraine – hier können sie in einem betreuten Umfeld spielen, basteln oder malen, und werden so zumindest für eine kurze Zeit vom Kriegsgeschehen abgelenkt. Daneben wird eine psychosoziale Beratung für Eltern und Kinder angeboten.

Entwicklungsministerin Svenja Schulze betont ebenfalls die Bedeutung dieser Zentren, von denen es mittlerweile in der Ukraine mehr als 100 gebe. Doch die Unterstützung müsse auch darüber hinausgehen. „Die Bedürfnisse der Kinder müssen ins Zentrum gestellt werden“, sagt Schulze mit Blick auf die im Juni anstehende Wiederaufbaukonferenz. Denn nur so könnten auch Perspektiven für ein Leben nach dem Krieg geschaffen werden.

Autor*in
FL
Finn Lyko

ist Volontärin in der vorwärts-Redaktion.

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1 Kommentar

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Di., 27.02.2024 - 13:23

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des „russischen Überfalls auf die Ukraine“, belegt eine „neue Studie der Kindernothilfe“ – und wir können diesen Zustand nicht genug bedauern, verurteilen und auf Abhilfe sinnen, sollten aber noch hinzufügen „und die Frauen, die Alten und die Männer im wehrpflichtigen Alter“. Diesen Zustand nennt man Krieg. Und wer „Frieden jetzt“ fordert oder „Frieden erst, wenn Putin verloren hat“, sollte das bedenken.