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Pressefreiheit: Gewalttaten mit „neuer Dimension“ gegen Journalisten

Der Fall Khashoggi hat die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erneut auf Gewalt gegen Journalisten gelenkt. Auch in Deutschland werden die Übergriffe brutaler.
von Johanna Schmeller · 31. Oktober 2018

Noch immer ist die Tötung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi vor vier Wochen nicht aufgeklärt. Türkische Ermittler gehen davon aus, dass ein Killerkommando aus Saudi-Arabien den Journalisten im Konsulat aus politischen Gründen ermordet haben soll.

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, spricht von einer neuen Dimension: „Mir ist bisher kein anderer Fall bekannt, in dem ein Journalist in der Botschaft seines Landes im Ausland ermordet wurde.“ Er befürchtet eine Signalwirkung: „Wenn dieses Verbrechen nicht gründlich aufgeklärt wird, ermuntert es autokratische Herrscher in aller Welt, genauso brutal gegen missliebige Berichterstatter vorzugehen.“

„Der Fall Khashoggi hat uns alle schockiert“, sagt Maria Böhmer, Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission. „Die Bedrohung einer freien Presse findet aber auch vor unserer Haustür in Europa statt: Erst kürzlich wurden Daphne Caruana Galizia in Malta und Jan Kuciak in der Slowakei getötet, offenbar um sie zum Schweigen zu bringen.“

Weltweite Gewaltwelle gegen Reporter

Nach neusten Zahlen der UNESCO wurden seit 2006 weltweit über 1.000 Journalisten wegen ihres Jobs getötet – und die Aufklärungsrate liegt bei lediglich 10 Prozent. Allein im Jahr 2018 sind es nach UNESCO-Angaben schon 90. Meist trifft es Reporter vor Ort: 90 Prozent der getöteten Journalisten im Jahr 2017 waren Lokaljournalisten.

Erstmalig gab es im vergangenen Jahr mehr getötete Journalisten in Ländern ohne bewaffnete Konflikte (55 Prozent) als in Kriegsgebieten. Mexiko und Afghanistan führten die Liste der für Journalisten gefährlichsten Länder an, mit 13 und 11 Todesfällen. Die Region Asien-Pazifik ist die tödlichste für Journalisten, es folgen Lateinamerika und die Karibik.

Hass in Chemnitz auf Kamerateams

Doch auch in Deutschland habe sich die Situation verschärft. „Während der Proteste in Chemnitz im Sommer berichteten uns Kollegen, sie seien noch nie so viel Hass und Aggressivität ausgesetzt gewesen“, erzählt Mihr. Die Zahl der Übergriffe gegen Journalisten sei in den vergangenen Jahren auch in Deutschland deutlich gestiegen. „Insbesondere auf Demonstrationen von Rechten nehmen immer häufiger große Menschengruppen gezielt Journalisten ins Visier, beschimpfen und bedrohen sie. Oft trifft das Fotografen oder Kamerateams, die symbolisch für die pauschal beschimpfte „Lügenpresse“ stehen.“

Dass Reporter in Deutschland überhaupt Angst um ihre körperliche Unversehrtheit haben müssen, weil sie von öffentlichen Großereignissen berichten, sei alarmierend, so Mihr.

Forderung nach UN-Sonderbeauftragten für Journalisten

Reporter ohne Grenzen und UNESCO setzen sich daher für einen Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten ein, der bei Gewaltdelikten internationale Ermittlungen vorantreiben könnte: „Der Deutsche Bundestag hat sich im vergangenen Jahr in einem Antrag aller Fraktionen unserer Forderung angeschlossen“, sagt Mihr. Die Forderung begrüßt auch Böhmer: „Ein hauptamtlich tätiger UN-Sonderbeauftragter könnte das Bewusstsein für das wichtige Thema weiter stärken, neue Impulse für den Schutz von Journalisten weltweit geben und selbst Untersuchungen initiieren. Das wäre ganz im Sinne der UNESCO.“

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