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Neonazis in der Regierung

von Jörg Hafkemeyer · 27. Oktober 2011
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Die ganz enge, kurze, kopfsteingepflasterte Straße ist eine der ältesten von Riga. Die Krämergasse. Hinter einer schweren Holzpforte führt in einem dunklen Hausflur eine Treppe in den ersten Stock, In eine europaweit ungewöhnliche Gedenkstätte. Das Barrikadenmuseum. Gegründet 1995. Sane Supulniece, ein 25-jährige Frau führt die Besucher durch drei Räume, in denen die so wichtigen Tage der jüngeren Geschichte Lettlands im August 1991 dargestellt sind, als sich die Letten von der UdSSR freikämpften.

Hier hängen die Original-Plakate mit den Parolen der Freiheitskämpfer "Geht schlafen Besatzer", "Gegen rote Faschisten" im ersten Raum. Im zweiten läuft ein Dokumentarfilm über die Ereignisse an jenen Tagen und im dritten Zimmer wird an die acht Menschen erinnert, die bei diesen Kämpfen ums Leben gekommen sind, darunter an einen sowjetischen Milizionär, der sich auf die Seite der Letten geschlagen hatte.

Es ist eine auch 20 Jahre danach im heutigen Lettland lebendige Geschichte, die die Beziehungen der zwischen Riga und Moskau bis heute belastet. Mit erheblichen Auswirkungen gerade in diesen Tagen der Regierungsbildung nach den Septemberwahlen in der kleinen Baltischen Republik. Einer Regierungsbildung, an der zum Entsetzen vieler eine rechtsradikale Partei beteiligt ist.

Sie wollen die über 600 000 Russen aus Lettland deportieren. Sie pöbeln gegen homosexuelle Männer und beschimpfen lesbische Frauen und die 8 500 Roma. Sie ziehen über Minderheiten her, marschieren lautstark und uniformiert durch die lettische Hauptstadt Riga, die Parteiuniform schmückt eine Runenarmbinde. Sie grölen nationalistische Parolen, feiern den umstrittenen Legionärstag alljährlich am 16. März und sind Mitveranstalter der jährlichen SS-Veteranen-Feiern im baltischen Ostseestaat.

 

Diese Horden, die sich "Alles für Lettland" (Visu Latvijai) nennen sind nun der dritte Partner in der rechts-konservativen Regierungskoalition unter dem Wahlverlierer Valdis Dombrovskis, dem alten und neuen Ministerpräsidenten. Der meinte, er sehe überhaupt keinen Anlass seinen rechtsextremen Koalitionspartner zu bestrafen und in der Opposition zu belassen.

 

Das lettische Zentrum für Menschenrechte ist entsetzt: "Es ist untragbar, wenn Rechtsradikale Teil der Regierung eines EU-Landes werden." Einem Land, in dem der Gewinner der Wahl am 17. September dieses Jahres das sozialdemokratische "Harmonie-Zentrum" mit 28,4 Prozent einmal mehr in der Opposition sitzt. Nicht einmal in den vergangenen 20 Jahren, nachdem sich die Letten von der sowjetischen Besatzung befreit hatten, ist die sozialdemokratische Partei in der Opposition gewesen. Ihr Parteivorsitzender Nils Usakovs ist seit dem Sommer 2009 Oberbürgermeister von Riga und ein entschlossener Gegner der Rechtsradikalen.

 

Seine Partei repräsentiert vorwiegend den russischsprachigen Bevölkerungsteil, der 28% der 2,3 Millionen Einwohner Lettlands ausmacht. Usakovs hatte den Konservativen von Premierminister Dombrovskis ein Koalitionsangebot gemacht mit der ausdrücklichen Anerkennung, "dass die lettische Sowjetrepublik zwischen 1940 und 1990 eine Okkupation des Landes durch Moskau gewesen" sei.

 

Doch der alte und neue Regierungschef machte ein Angebot, dass die Sozialdemokraten nicht annehmen konnten: Er schlug eine Koalition der Nationalen Einheit vor - mit seinen Konservativen, den Sozialdemokraten und der rechtsradikalen Partei "Alles für Lettland". Das lehnte Usakovs ab, er wolle nicht mit Neonazis an einem Tisch sitzen. Nun sitzen die Konservativen mit der Reformpartei des ehemaligen Präsidenten Valdis Zatlers und den Rechtsradikalen in der Regierung Lettlands, das seit 10 Jahren Mitglied der Europäischen Union ist. "SS-Freunde regieren mit", titelte eine Zeitung.

 

Die Parteiführung von "Visu Latvijai" lässt sich nicht gern als Nazipartei bezeichnen oder faschistische Politik vorwerfen. Doch ihr gesamter öffentlicher Auftritt erinnert stark an das Auftreten der Waffen-SS im Dritten Reich. Zwei Jahrzehnte, nachdem sich die Letten in zum Teil sehr gewaltsamen Auseinandersetzungen 1991 von der UdSSR befreit haben.

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Autor*in
Jörg Hafkemeyer

ist Journalist, Gast-Dozent für Fernsehdokumentation und -reportagen an der Berliner Journalistenschule und an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin sowie Honorarprofessor im Studiengang Kulturjournalismus an der Berliner Universität der Künste (UdK).

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