So hausen derzeit 3.500 Menschen in einem Zeltlager in Soetwater, vor den Toren Kapstadts, das beispielhaft für die Lage der Flüchtlinge steht. Sie sind gefangen zwischen ihrer alten Heimat,
in die sie nicht wollen, der neuen, in der sie nicht mehr erwünscht sind und dem kurzfristig eingerichteten Lager, das Ende des Monats geschlossen werden soll. Südafrika steht also vor gewaltigen
Problemen, die es bis 2010 unbedingt zu lösen gilt. Denn dann will das Land sich als Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft präsentieren. Und Schandflecken wie Soetwater längst vergessen gemacht
haben.
Der Wind weht heftig in Soetwater, dem größten Flüchtlingslager in der Provinz Western Cape vor den Toren der Millionenmetropole Kapstadt. In Böen peitscht er den kalten Regen gegen die
Zeltplanen. Dicht gedrängt hocken Kinder bei ihren Müttern, in graue Decken gehüllt, an ihren Fingern knabbernd. "In zehn riesigen Zelten befinden sich 3.500 Menschen," so Sam Pearce von einer
Nicht-Regierungsorganisation, "die beiden Hauptlager befinden sich direkt an der Küste. Die Kaltfront hat sie voll erwischt. Die Zelte sind feucht und kalt." Denn in Südafrika herrscht Winter.
Die Menschen hier klagen über die unzureichende Versorgung mit Unterkünften, fehlende Heizung, Nahrungsmittel und Medikamente. Die sanitären Anlagen sind eine Katastrophe.
Gewalttätige Auseinandersetzungen
Zwischen 70.000 und 100.000 Menschen waren in den ersten Maitagen in nahe gelegene Polizeistationen und Kirchen geflohen, etwa 50.000 sind jetzt in provisorischen Lagern zwischen
Johannesburg, Durban und Kapstadt untergekommen. Der Rest ist in die Herkunftsländer zurückgekehrt, einige wenige wagten es zurück in ihren alten Township. Denn vor knapp zwei Monaten kam es in
zahlreichen Armenvierteln Südafrikas zu einer Hetzjagd von schwarzen Südafrikanern auf afrikanische Einwanderer. Mit Messern, Schlagstöcken und Pistolen hatte sich eine Gruppe Männer im
Johannesburger Viertel Alexandra auf die Suche nach Ausländern gemacht, die nicht ihre Sprache beherrschten.
Wenig später kam es auch in anderen Elendsvierteln Johannesburgs zu Verfolgungsjagden, die in den kommenden Wochen Nachahmer in anderen Teilen des Landes, vor allem in den Metropolen Durban
und Kapstadt, fanden. Waren die ersten Ausschreitungen tatsächlich fremdenfeindlich motiviert, so bedienten sich später kriminelle Banden des Anlasses und nutzten die Lage aus, um von
Rechtlosigkeit und Chaos zu profitieren und sich an dem Besitz der Verfolgten zu bereichern. "Die Schwachen reagierten sich an den noch Schwächeren ab," so Dr. Nyakarashi, "die Ausländer wurden
zum Ventil für die Unzufriedenheit. Die Illegalen waren die einfachsten Opfer." Mehrere Zehntausende begaben sich auf die Flucht.
Regierung überfordert
Die südafrikanische Regierung war mit dem plötzlichen Gewaltausbruch vollkommen überfordert. Erst nach einiger Zeit wurden Flüchtlingslager eingerichtet, davon sechs bei Kapstadt, und
Gemeindezentren für die Unterbringung Vertriebener zur Verfügung gestellt. Die gestrandeten Menschen wurden anfangs nur unzureichend mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln und Kleidung versorgt.
Die meiste Arbeit erledigten ehrenamtliche Organisationen, die auch versuchten Informationen über die zurückgelassenen Habseligkeiten herauszufinden.
In der am zweitstärksten von Flüchtlingsströmen betroffenen Provinz Western Cape stritten Premier Ebrahim Rasool (ANC) und die Bürgermeisterin Kapstadts Helen Zille von der
Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) um Zuständigkeiten und die Finanzierung der Notmaßnahmen. Während Rasool die Öffnung weiterer Stadtteilzentren forderte, rief Zille den Provinzpolitiker
dazu auf, selber mehr Mittel freizugeben. Erst das Oberste Gericht brachte eine Lösung in den Streit, die beide mehr in die Verantwortung nahm. Der Gewaltwelle folgten also politische Zänkereien.
Denn Kapstadt stellt die einzige Metropole dar, die nicht von der Regierungspartei African National Congress (ANC) geführt wird und seit Übernahme des Bürgermeisteramtes durch die Opposition sehr
umstritten ist. Doch auch in den anderen betroffenen Provinzen Gauteng und KwaZulu-Natal kam es zu Verzögerungen.
Hilfe vom Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen
Und in den Lagern gärten weitere Probleme. Während sich die Flüchtlinge darin einig waren, dass die Regierung zu langsam zu wenig zur Linderung ihres Schicksals tun würde, kam es in Bezug
auf die Art und Weise, wie sie unter Druck zu setzen sei, zu schweren Meinungsverschiedenheiten. Der Presse zufolge zwangen somalische Gruppen ihre Leidensgenossen aus Simbabwe und der
Demokratischen Republik Kongo (DRC) zum Hungerstreik, zudem gab es Berichte, Somalier hätten mehrere Suizidversuche unternommen. Diese wurden später allerdings dementiert.
Verzweifelung machte sich vielerorts breit. Erst mit Hilfe des Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) konnten professionelle Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden. "Unser
dreistufiges Programm läuft nun endlich," so Virginia Petersen, Sprecherin des Premierministers der Provinz Western Cape, "erst humanitäre Hilfe und Sicherheit für die Opfer, dann eine Kampagne
in den Townships, um Fremdenhass und Rassismus auszumerzen, und schließlich die Re-Integration. Das sind unsere Vorhaben." Sie hofft, dass demnächst alle Vertriebenen wieder in ihre Townships
zurückkehren werden, "dazu stehen schon jetzt Sozialarbeiter vor Ort zur Verfügung. Das UN Flüchtlingshilfswerk leitet uns an."
Denn bis Ende Juli sollen alle Flüchtlinge entweder in ihre Herkunftsländer zurück gebracht oder aber in die südafrikanischen Gemeinden re-integriert werden, aus denen sie geflohen waren.
Die Regierungen unter Präsident Thabo Mbeki aber auch auf Provinzebene haben sich mehrheitlich für die Rückkehr in die südafrikanischen Townships ausgesprochen. In der Provinz Gauteng, die
Ursprung und Zentrum der Gewaltwelle war, gaben sich die Behörden diesbezüglich optimistisch. "In den kommenden zwei Monaten hoffen wir, dass alle Vertriebenen wieder in ihre Townships
zurückkehren können," so Gauteng-Sprecher Thabo Masebe, "die Lage ist günstig und wir sind zuversichtlich."
Ursachen der Unruhen
Und mittlerweile sind auch die Umstände, unter denen es in Alexandra zum Ausbruch der Gewalt kam, besser bekannt. In der Extension 7, dem Ursprungsort der Gewaltwelle, waren zahlreiche
Häuser des sozialen Wohnungsbaus an ausländische Einwohner gegangen, die sich ihre Vorzugsbehandlung durch Schmiergeldzahlungen an die Verwalter in der Gemeinderegierung erkauft hatten. Mehr als
400.000 Menschen lebten auf einem Quadratkilometer von Wellblechhütten, etwa 15 Prozent waren Ausländer. Es ging also in Alexandra mehr um die Verteilung der umkämpften Sozialwohnungen als um
Fremdenfeindlichkeit.
Eine Umfrage des staatlichen Rundfunkssenders South African Broadcast Corporation (SABC) förderte jedoch erschreckende Ergebnisse zutage. Auf die Frage, ob Südafrikaner jemals Ausländer
akzeptieren würden, antworteten zwei Drittel mit "Nein" und unterstrichen ihre Haltung mit Aussagen wie "Ausländer raus" und "Südafrika den Südafrikanern." Eine weitere Erhebung sieben Tage
später, fragte, ob die Vertriebenen wieder in die Gesellschaft reintegriert werden sollten. Zwei Drittel der Befragten waren dagegen. Und der Wandel in den Köpfen der Menschen wird noch lange
Zeit brauchen. Denn die Ursachen, die Geschichte von Kolonialismus und Apartheid, aber auch weit verbreitete Armut und Ungleichheit, lassen sich nicht so schnell ausmerzen.
Aussichten
Das Kabinett unter Präsident Mbeki hat nun beschlossen, die Schaffung von Wasseranschlüssen, Sozialwohnungen und Beschäftigungsmöglichkeiten noch einmal zu beschleunigen. Es forderte die
Regierungen auf Provinz- und Gemeindeebene auf, mehr gegen Korruption zu unternehmen und sich klar gegen Fremdenfeindlichkeit zu positionieren. Neben der Bestrafung der Täter soll sich die Lage
in den provisorischen Camps alsbald verbessern. Denn die Zeit drängt. Bis zur Fußball-Weltmeisterschaft 2010 müssen die Probleme des Landes behoben sein, damit nichts dem Turnier im Wege steht.
Dabei muss die südafrikanische Regierung nicht nur an der Fremdenfeindlichkeit arbeiten, sondern vor allem an ihren Ursachen.
Das Lager Soetwater soll bis Ende des Monats aufgelöst werden. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen haben Komitees gebildet, um die Meinungsverschiedenheiten zu diskutieren und gemeinsame
Lösungen zu erarbeiten. Die südafrikanischen Medien, die auch die Unruhen in den Townships auf die Titelseiten und damit die Agenda der Regierung holten, hatten auch hier unterstützend gewirkt
und genug Öffentlichkeit erzeugt, um finanzielle Ressourcen und Hilfe zu mobilisieren. Zivilgesellschaft und Presse haben in Südafrika bislang die beste Arbeit gegen Fremdenhass und das
Wegschauen geleistet. Nun muss die Regierung nachziehen.
Jérôme Cholet war im vergangenen Jahr Hospitant imJohannesburger Büro der Friedrich-Ebert Stiftung und arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher
Osten. Themen sind Armut, Gerechtigkeit und Gewalt.
arbeitet als freier Autor mit Schwerpunkt Afrika, Lateinamerika und Naher Osten.