International

Nach dem Brexit-Votum: So muss sich die EU jetzt ändern

Knut Fleckenstein, Fraktionsvize der Sozialdemokraten im EU-Parlament, fordert Konsequenzen nach dem britischen Referendum: Ohne mehr Transparenz und Demokratie werde die EU die Akzeptanz der Bürger nicht wiedergewinnen. Zugleich kündigt er der britischen Regierung „harte Verhandlungen“ über den Brexit an.
von Knut Fleckenstein · 24. Juni 2016

Sie haben sich entschieden. Die Briten wollen die EU verlassen. Erstmalig seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, in dem eine Ausstiegsklausel verankert ist, werden wir uns von einem Mitglied der Union trennen. Ich bedaure das sehr. Auch Großbritannien hat die EU stark gemacht. Jetzt wird es ohne das Vereinigte Königreich weitergehen.

Harte Brexit-Verhandlungen, Ausgang ungewiss

Viel Arbeit kommt auf alle Beteiligten zu in dem maximal zweijährigen Ausstiegsszenario. Wir stehen vor einem Scheidungsprozess. Ausgang ungewiss. Beide Seiten werden hart verhandeln, da bin ich mir sicher. Wer dabei in Großbritannien den Ton angeben wird, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Die Zugeständnisse der EU werden nicht grenzenlos sein. Beide Seiten müssen nun überlegen, wie das Miteinander in Zukunft aussehen soll. Dabei kann man sich an bestehende Abkommen, wie zum Beispiel mit Norwegen oder der Schweiz orientieren. Und das heißt: Einen erneuten Zugang zum Binnenmarkt wird es nicht umsonst geben.

Das Referendum ist nur die Spitze des Eisbergs einer vermehrten anti-europäischen Grundstimmung in den Mitgliedstaaten der EU. Wir müssen diese Stimmung ernst nehmen und deutlich reagieren. Ein "weiter so" kann es auch innerhalb der EU mit ihren nunmehr 27 Mitgliedsstaaten nicht geben. Es würde die Europäische Union immer mehr schwächen, weil auch die Wohlgesinnten sich irgendwann abwenden würden. Sie wollen einen Mehrwert sehen. Für Europa ist dieser Moment auch eine Chance. 

EU muss Frieden und Wohlstand wahren

Die Menschen erwarten zurecht eine handlungsfähige EU. Diese EU muss Frieden und Wohlstand wahren, für Beschäftigung und Wirtschaftswachstum sorgen, Sicherheit garantieren, Migrationsströme managen und deren Ursachen entgegen treten, Energiesicherheit und eine nachhaltige Klimapolitik gewährleisten und ihren BürgerInnen eine Stimme geben. 

Deshalb müssen gerade wir Sozialdemokraten uns weiterhin und noch deutlicher für eine gemeinsame Beschäftigungs- und Investitionspolitik als die bessere Alternative zur gescheiterten reinen Austeritätspolitik einsetzen. Wir müssen uns einsetzen für ein gerechteres Steuersystem inklusive der Abschaffung von Steueroasen und für eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik derjenigen, die über unsere gemeinsame Währung Euro verfügen. Und die Menschen erwarten zurecht, dass wir in außen- und sicherheitspolitischen Fragen gemeinsam handeln. 

Kompetenzen in der EU ändern

Die Umsetzung dieser Politiken hat mit politischen Mehrheiten zu tun. Über diese entscheidet der Wähler. Die Parteien müssen deshalb sehr viel deutlicher als bisher ihr europapolitisches Profil schärfen. 

Das allein wird aber nicht reichen. Die Organisation der Europäischen Union und die Verteilung der Kompetenzen zwischen ihr und den Mitgliedsstaaten muss neu bedacht werden, weil sie ganz offensichtlich nicht geeignet ist, in wichtigen Politikfeldern die Entscheidungen herbeizuführen, die die Menschen von uns erwarten. Im Gegenteil, die Instrumente, die uns zur Verfügung stehen reichen ebenso wenig aus, wie die intransparenten Hinterzimmerentscheidungen des Europäischen Rates, bzw. der Ministerräte. Ohne ein Mehr an Transparenz und Demokratie werden wir die Akzeptanz der Menschen nicht zurückgewinnen.


Debatte über Europa jetzt führen

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die Debatte über die Zukunft der EU jetzt führen müssen. Das wird nicht einfach werden. Zu unterschiedlich sind die Auffassungen über die Zukunft unserer Union zwischen den Staaten und zwischen den nationalen und europäischen PolitikerInnen. Mag sein, dass wir einen Konvent brauchen. Mag sein, dass das Europa der zwei Geschwindigkeiten zusätzlich zum Euro und zum Schengen-Raum neue Bereiche erhalten muss. Aber die Auseinandersetzung muss jetzt erfolgen. Wenn wir weiterhin warten, taktieren, kaschieren, werden die letzten Gutwilligen sich von der starken Idee der Europäischen Union verabschieden.

Wir werden streiten müssen, in unseren Parteien, in unseren Mitgliedstaaten, für ein Mehr an demokratischer Transparenz, für eine effizientere Entscheidungsfindung in Brüssel und für mehr europäischen Geist bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. Ohne unser offensives Eintreten für gemeinsame Lösungen würden wir den Rechtspopulisten das Feld überlassen. Jeder konstruktive Streit lohnt sich, denn wir brauchen die Europäische Union, um im Wettbewerb mit anderen Global Playern bestehen zu können. Nur so können wir Arbeitsplätze sichern, Frieden erhalten und dafür sorgen, dass auch unsere Kinder und Enkel in den Genuss der Werte kommen, für die wir heute in der Europäischen Union eintreten. 

 

Autor*in
Knut Fleckenstein

ist ASB-Bundesvorsitzender und Mitglied des Europäischen Parlamentes

0 Kommentare
Noch keine Kommentare