Mit der Haft für Yücel will die Türkei die internationale Presse einschüchtern
Dass es so weit kommen würde, hatten selbst Experten kaum für möglich gehalten: Deniz Yücel, Türkei-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt, wurde von einem Istanbuler Richter zu Untersuchungshaft verurteilt. Schon vor zwei Wochen hatte er sich freiwillig der Polizei gestellt, weil nach ihm gefahndet wurde. Seither saß er in Polizeigewahrsam, und seither hofften seine Redaktion, seine Freunde und Unterstützer, dass er schnell freikommen würde. Dass es bei einer Drohung, bei einer Anklage ohne Haft bleiben würde. Sogar Angela Merkel setzte sich in einem Gespräch mit dem türkischen Premier Binali Yıldırım am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz für ihn ein – vergeblich.
Türkei: In keinem Land mehr Journalisten in Haft
Yücel besitzt neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft. Und so ließ die Justiz bei ihm alle Härte walten, die sie auch bei türkischen Journalisten anwendet. Fast 150 von ihnen sitzen derzeit in Haft, so viele wie nirgendwo anders auf der Welt. Laut Reporter ohne Grenzen rangiert die Türkei beim Thema Pressefreiheit auf Platz 151 von 180 Ländern weltweit. Tendenz: absteigend.
Deniz Yücel wird Terror-Propaganda und die Aufwiegelung zur Gewalt vorgeworfen, wohl weil er über E-Mails von Energieminister und Erdoğan-Schwiegersohn Berat Albayrak berichtete, die das Hacker-Kollektiv „Redhack“ im Dezember auf WikiLeaks veröffentlicht hatte. Auch einige türkische Kollegen, die darüber berichtet hatten, wurden in den letzten Wochen festgenommen.
Für Ankara eine günstige Gelegenheit
Für Ankara war das möglicherweise eine willkommene Gelegenheit, einen ohnehin unliebsamen Journalisten aus dem Weg zu schaffen. Deniz Yücel hatte 2014 ein vielbeachtetes Buch über die Gezi-Proteste geschrieben, war danach zur Persona non grata für Ankara geworden. Als er 2015 begann, für „Die Welt“ als Türkei-Korrespondent zu arbeiten, verweigerte man ihm eine türkische Pressekarte – bis heute. Wegen kritischer Fragen zum Islamischen Staat an den Gouverneur der türkischen Grenzstadt Akçakale hatte man ihn schon 2015 kurzzeitig in Polizeigewahrsam genommen. Sein Interview mit dem PKK-Führer Cemil Bayık im Nordirak einige Wochen später dürften für weiteren Unmut in Ankara gesorgt haben, Recherchereisen in die umkämpfte kurdisch-türkische Stadt Cizre im letzten Jahr ebenso. Man muss Yücels zum Teil provokanten Stil nicht immer gut heißen, doch er tat das, was ein guter Journalist tun sollte: in gefährlichen Gebieten recherchieren, über heikle Themen berichten.
Das trauen sich türkische Journalisten kaum noch, und auch ausländische Korrespondenten immer weniger. Polizeikontrollen während Recherchen sind keine Seltenheit, immer weniger Türken trauen sich ein offenes Interview zu geben und unliebsame Korrespondenten werden in regierungstreuen Medien zum Teil heftig attackiert, auf der Straße nicht selten beleidigt.
Internationale Presse galt bisher als sicher
Allerdings gibt es einige große Unterschiede zwischen ausländischen und einheimischen Reportern: Kritische türkische Journalisten genießen kaum Schutz durch ihre Arbeitgeber. Sie werden in der Regel eher gefeuert, als dass ihre Arbeitgeber für sie kämpfen – von den wenigen verbliebenen oppositionellen Medien einmal abgesehen. Zu groß ist der wirtschaftliche und politische Druck auf die Medienbosse. Die sind größtenteils auch in anderen Wirtschaftszweigen aktiv und wollen gute Beziehungen zur Regierung pflegen, um an lukrative Staatsaufträge zu gelangen. Enthüllende Berichterstattung und der Schutz ihrer Journalisten sind da zweitrangig, gar störend. So sollen in den Redaktionen schwarze Listen von kritischen Journalisten existieren, die man lieber nicht einstellt, wenn man es sich nicht mit der Regierung verscherzen will.
Ausländische Korrespondenten dagegen haben meist eine Redaktion und im Notfall das Konsulat ihres Heimatlandes im Rücken, die bereit sind, sie zu verteidigen. Umso erschreckender, dass im Fall Deniz Yücel selbst das große Engagement der WeltN24-Gruppe und der Bundesregierung nichts genützt haben, um ihn vor der Untersuchungshaft zu bewahren. Die kann nun Jahre andauern. Für ausländische Journalisten markiert dies eine neue Eskalationsstufe.
Viele Türken informieren sich im Ausland
Diese haben für die Türkei keine unerhebliche Bedeutung. Nicht wenige Türken beziehen Nachrichten über ihr Heimatland aus internationalen Medien, seit ihre eigenen ihnen einen Großteil der Wahrheit verschweigen. Spätestens seit den Gezi-Protesten 2013, als türkische Mainstream-Medien Dokumentarfilme über Nazis und Pinguine ausstrahlten, während internationale TV-Sender live vom Taksim-Platz berichteten, wo Demonstranten von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas attackiert wurden. Ankara weiß das genau und versucht nun mit dem Fall Deniz Yücel, ausländische Journalisten einzuschüchtern. Dafür nimmt die Regierung sogar einen diplomatischen Eklat in Kauf.
Die Bundesregierung setzt das gehörig unter Druck. Ausschließlich Besorgnis zu bekunden, wie sie das in den letzten Monaten angesichts der Verhaftungswellen in der Türkei getan hat, reicht nicht mehr. Weder für Yücel, noch für seine türkischen Kollegen.
arbeitet als Journalistin für TV, Print, Online und Radio. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf den Themen Gesellschaft und Politik, Kultur, Migration und Bildung. Sie lebt in Istanbul.