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„Menschenrechtsverstöße in der Nähe der WM, quasi um die Ecke“

von Andrea Arcais · 29. März 2010
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vorwaerts.de: "Politische Kultur, Staatlichkeit und Demokratie in den Ländern Sub-Sahara Afrikas". So lautete der Titel der Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung in Harare, zu der Sie und Heidemarie Wieczorek-Zeul gereist sind. Von Demokratie scheint Simbabwes Präsident nicht viel zu halten. Hatten Sie überhaupt die Möglichkeit offene Gespräche zu führen?

Christoph Strässer: Ja, das war durchaus möglich. Nach der Präsidenten- und Parlamentswahl vor zwei Jahren, die unter schwierigsten Bedingungen stattfanden, konnte die damalige Opposition Präsident Mugabe und seine Partei zwingen, zumindest einer Machtteilung im Land zuzustimmen.

Seitdem wird Simbabwe von einer sogenannten "Inclusive Government" regiert. Alle Parteien sitzen in der Regierung, im Parlament gibt es deshalb keine Opposition mehr. Wichtigste Aufgabe ist es, einen geordneten Übergang zu einer neuen Verfassung und zu allgemeinen Wahlen binnen zwei Jahren zu organisieren.

Man liest aber noch immer von Repressionen?

Auch das gehört zur Realität. Mugabe hat noch lange nicht akzeptiert, dass er die Macht tatsächlich teilen und irgendwann abgeben muss.

Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei MDC-T (Movement for Democratic Change - Tsvangirai), Morgan Tsvangirai, ist seit dem 11. Februar 2009 Premierminister. Eine Position, die es eigentlich nach der Verfassung Simbabwes seit Ende der Achtziger Jahre gar nicht mehr gibt. Damals wurden die Befugnisse eines Regierungschefs dem Staatspräsidenten, also Robert Mugabe, übertragen. Dieser versucht heute dem Premierminister das politische Leben so schwer wie möglich zu machen und spricht ihm Kompetenzen ab.

Trotzdem ist es möglich politische Gespräche zu führen. Es gibt keine offene Diktatur in Simbabwe, die so etwas von vorneherein verhindert. Allerdings ist mit Einschränkungen bis hin zu offener Bedrohung für Gesundheit und Leben durch Anhänger Mugabes immer zu rechnen.

Mit wem konnten Sie sprechen?

Wir hatten die Gelegenheit, u.a. mit Premierminister Morgan Tsvangirai, mit Finanzminister Tendai Biti und Parlamentariern des MDC-T zu sprechen. Gespräche gab es auch mit dem Präsidenten des Gewerkschaftsverbandes ZCTU (Zimbabwe Congress of Trade Unions) und mit Dr. Lovemore Madhuku, dem Vorsitzenden der "National Constitutional Assembly", einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich stark macht für die Erarbeitung und umfassende Diskussion einer neuen Verfassung, wofür es mittlerweile mehrere Entwürfe gibt.

Sie alle gehören zu den ehemals oppositionellen Kräften im Land. Sie haben heute formal die Möglichkeit, die Politik Simbabwes zu gestalten. Allerdings steht das Land vor derart gravierenden Schwierigkeiten, dass der Anspruch auf politische Gestaltung zur Sysyphusaufgabe wird.

Können Sie das konkretisieren?

Ich habe einen Geldschein von der Reise mitgebracht. Er symbolisiert - glaube ich - treffend die Situation. Schauen Sie mal was für eine Zahl auf dem Simbabwe-Dollar-Schein steht: Twenty Trillion Dollars. Eine unvorstellbare Zahl.

Dieser Geldschein ist schlicht nichts mehr wert. Die Währung des Landes ist heute der US-Dollar, nachdem eine Hyperinflation die eigene Währung binnen Tagen und Wochen völlig zerstört hat. Man muss wissen, dass dieses eigentlich fruchtbare und Rohstoffreiche Land wirtschaftlich vollkommen am Boden liegt. Robert Mugabe und seine Partei haben Simbabwe in den vergangenen Jahren wirklich ruiniert.

Nur um die Macht des mittlerweile über 80-jährigen Präsidenten und seiner Mitstreiter zu erhalten, wurde Simbabwe mit politischer Repression überzogen, die vor Folter und politischem Mord nicht halt macht. Eine vollkommen chaotische und gewaltsam durchgeführte Landreform hat viele der noch im Land aktiven weißen Farmer außer Landes getrieben, ohne sie zu entschädigen. Deren Land wurde aber nicht - wie versprochen - den über 300.000 Kleinfarmern übergeben, sondern häufig ehemaligen Gefolgsleuten Mugabes, die aber keinerlei Erfahrung in der Landwirtschaft hatten. In der Folge ist die Arbeitslosigkeit noch größer, der Ertrag aus der Landwirtschaft aber immer geringer geworden. Die Repression hat hunderttausende, wenn nicht Millionen ausgebildete Simbabwer aus dem Land getrieben. Die fehlen heute beim Wiederaufbau.

Durch Vermittlung von Misereor, ein Hilfswerk, dass seit vielen Jahrzehnten vor Ort arbeitet, war es auch möglich, außerhalb von Harare Eindrücke von der Situation und alltäglichen Lebensrealität der Menschen jenseits der Metropole in den sog. High Density Regions zu erfahren. Diese Realität ist schlimmer, als man sich das nach den Berichten aus dem Land vorstellte.

Aber hat die Bildung einer Regierung, in der die Opposition mitarbeitet, den Menschen im Land keine Hoffnung gegeben, dass sich etwas ändert?

Zum einen war die Beteiligung von Morgan Tsvangirai und seiner Partei MDC an der Regierung nach den Wahlen 2008, aus denen die MDC nach Bewertungen aller Beobachter als klarer Gewinner hervorging, nicht unumstritten. Viele Menschen warfen ihm vor, Mugabe damit gestützt zu haben.

Dies gilt umso mehr, als auch bei den gleichzeitig stattgefundenen Präsidentenwahlen Tsvangirai als eindeutiger Sieger im 1. Wahlgang gesehen wurde. Durch heftige Manipulation erzwang Mugabe dann noch einen 2. Wahlgang, an dem Tsvangirai dann nach mehrfachen Verhaftungen, Körperverletzungen und Folterungen nicht mehr teilnahm.

Zum anderen muss man sich vor Augen halten, dass Mugabes Terror sich nicht nur gegen die politischen Repräsentanten der Opposition gerichtet hat, sondern gegen weite Teile der Bevölkerung. Viele hunderttausende Menschen wurden umgesiedelt, weil sie zu potentiellen Wählern der MDC gehörten. Deren Dörfer wurden zerstört, die Menschen in teils weit entfernte Regionen ohne Aussicht auf ausreichende Selbstversorgung verbracht. Die Folteropfer zählen in die Tausende. Daraus ist offensichtlich eine Situation entstanden, die viele Menschen lähmt, sie lethargisch macht. Hoffnung haben wir wenig gesehen, aber es gibt sie.

Das klingt nach einer ausweglosen Lage?

Gewerkschaften, die politischen Parteien und Organisationen wie die "National Constitutional Assembly" wollen ihr Land wieder aufbauen. Simbabwe war einmal so etwas wie ein Vorbild. Es hatte mit 10 Prozent die niedrigste Analphabetenquote in Afrika. Ein Wert übrigens, der selbst für europäische Verhältnisse nicht schlecht ist. Simbabwe, die einstige Kornkammer Afrikas, kann seine Einwohner eigentlich selbst ernähren, das Land ist fruchtbar.

Die Rohstoffe könnten Devisen in die Staatskassen spülen. Aber der Neuanfang ist blockiert durch viele Hindernisse. Das Haupthindernis ist die politische Blockade, die durch die Weigerung Mugabes und seiner Partei entstanden ist, zu akzeptieren, dass sie wirklich demokratische Wahlen zulassen und deren Ergebnisse anerkennen müssen.

Den Nachbarländern Simbabwes kann aber doch diese Situation nicht egal sein. Schließlich müssen sie Flüchtlinge aufnehmen und ein Absatzmarkt ist zusammengebrochen.

Die Länder des südlichen Afrika haben sich schon 1980 nach der Unabhängigkeit Simbabwes zur Südafrikanischen Entwicklungskonferenz (SADCC - Southern Afrika Development Coordination Conference) zusammengeschlossen. Ihr gehören Angola, Botswana, Lesotho, Malawi, Mozambique, Swaziland, Sambia, Simbabwe und seit dem Ende der Apartheid auch Südafrika an.

Natürlich haben diese Länder ein Interesse daran, dass sich Simbabwe politisch und ökonomisch stabilisiert und erholt. Die Bereitschaft allerdings, auf Robert Mugabe effektiven Druck auszuüben, ist aus unterschiedlichen Gründen bislang nicht sehr ausgeprägt gewesen. Einer der wichtigsten Gründe scheint zu sein, dass sich diese Staaten, vor allem aber die ehemalige Befreiungsbewegung Südafrikas, ANC, der Partei Robert Mugabes verpflichtet fühlen.

Tatsache ist jedenfalls, dass unter dem Südafrikanischen Präsidenten Thabo Mbeki kein Druck auf Mugabe ausgeübt wurde. Im Gegenteil. Der neue Präsident Südafrikas, Jacob Zuma, scheint gewillt, mit dieser Tradition zu brechen. Er hat kürzlich Simbabwe besucht und offensichtlich Mugabe klare Bedingungen gestellt für die weitere wirtschaftliche Unterstützung. Wenn dies eine neue Politik einleitet, wäre das ein Zeichen der Hoffnung.

Welche Aufgabe hat die Friedrich-Ebert-Stiftung in Simbabwe?

Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist, nachdem sie 2008 nach den Wahlen des Landes verwiesen wurde, seit einem halben Jahr wieder mit einem eigenen Regionalbüro und einer großartigen Repräsentantin in Harare vertreten. Sie leistet eine unverzichtbare politische Bildungs- und Beratungsarbeit. Know-how-Vermittlung für einen demokratischen Wiederaufbau des Landes ist von überragender Bedeutung.

Was aber können Sie tun, wie kann die SPD helfen?

In Deutschland lautet die wichtigsteAufgabe: Öffentlichkeit und Bewusstsein schaffen. Das ist schwierig genug. Afrika steht nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Alle, die sich länger mit der politischen Situation auf dem afrikanischen Kontinent befassen, machen die Erfahrung, dass lediglich bei furchtbaren humanitären Katastrophen, zu denen es dann medial breit vermittelte Bilder gibt, eine Aufmerksamkeit für Afrika entsteht.

Der Gesprächskreis Afrika der Bundestagsfraktion, dessen Sprecher ich seit einigen Wochen sein darf, hat in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle: Wir stellen so etwas wie das Bindeglied zwischen parlamentarischer Arbeit und den Hilfsorganisationen und politischen Entwicklungs- und Aktionsgruppen zu Afrika dar.

Das Thema Simbabwe werden wir in der nächsten Zeit - nicht nur - im Gesprächskreis Afrika aufgreifen. Klar ist aber, dass eine verantwortungsvolle Politik, der es tatsächlich um Fortschritte im Aufbau von Demokratie und Verbesserung der Menschenrechtssituation geht, sich immer vom Grundsatz leiten lassen muss, dass sie ihre Auswirkungen auf die Menschen im Auge hat, denen sie nützen will. Es nützt uns also nichts, den politischen Lautsprecher gegen Mugabe auf volle Lautstärke aufzudrehen, wenn wir zugleich nicht in der Lage sind, durch konkrete Maßnahmen die demokratischen Kräfte zu unterstützen. Das ist immer eine Gradwanderung.


Christoph Strässer ist Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der SPD Bundestagsfraktion.

Einst galt Simbabwe auch und gerade den westlichen Industriestaaten als Paradebeispiel eines nicht-rassistischen afrikanischen Staates mit großen Entwicklungspotenzialen. Dies war nach dem Sturz des weißen Siedlerregimes unter Ian Smith. Das neue Simbabwe verfolgte eine Politik, die versuchte, dem südlichen Nachbarn Apartheid-Südafrika nicht nur politisch durch die Unterstützung des ANC, sondern auch wirtschaftlich Paroli zu bieten. Heute steht Simbabwe leider für Anderes: Nach einer erst jahrelang hinausgezögerten, dann chaotisch und gewaltsam durchgeführten Landreform, nach dem Aufbau eines Unterdrückungsapparates zum Machterhalt des seit der Unabhängigkeit des Landes 1980 regierenden Robert Mugabe und seiner aus der ehemaligen Befreiungsbewegung hervorgegangenen Partei ZANU-PF, liegt das Land politisch und ökonomisch am Boden. Eine Arbeitslosenquote von über 90 Prozent, gravierende Menschenrechtsverletzungen und internationale Isolation scheinen Simbabwe jegliche Perspektive zu rauben. In dieses Simbabwe lud die seit ca. einem halben Jahr wieder in Simbabwe aktive Friedrich-Ebert-Stiftung die ehemalige Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und den Münsteraner SPD-Bundestagsabgeordneten Christoph Strässer zu einer Informationsreise in die Hauptstadt Harare ein. Für Christoph Strässer war dies zudem die erste Reise in seiner neuen Funktion als Sprecher des Gesprächskreises Afrika der Bundestagsfraktion. Mit Christoph Strässer sprach für vorwaerts.de Andrea Arcais.

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Andrea Arcais

Andrea Arcais, geboren 1960 auf Sardinien, 1964 eingewandert mit Eltern und Brüdern ins Bergische Land. Lebt und arbeitet als freiberuflicher Autor, Journalist und Berater in Münster. Ehrenamtlich Pressesprecher der SPD Münster und Mitkoordinator von "Europa- Sozial&Demokratisch - Eine Initiative der SPD" in Münster.

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