International

Menschen flüchten vor allem vor dem Krieg

von Karin Nink · 20. Juni 2013

Die Zahl der Flüchtlinge hat nach Auskunft des UNHCR den höchsten Stand seit 1994 erreicht. Knapp die Hälfte von ihnen sind Kinder unter 18 Jahren. Cornelia Füllkrug-Weitzel sieht die Hauptursache in kriegerischen Auseinandersetzungen und fordert restriktivere Rüstungsexporte.

1. Wo sehen sie die Ursachen für die enorm hohe Zahl an Flüchtlingen? Haben bestimmte  Konfliktformen - etwa religiös motivierte oder ethnische Konflikte - zugenommen?

Die Flüchtlingszahlen weltweit sind die höchsten seit 1994. Schaut man auf die Hauptherkunftsländer - 55 Prozent der Flüchtlinge 2012 in der UNHCR-Statistik stammen  aus Afghanistan, Somalia, Irak, Syrien und dem Sudan - und nimmt man die neuen Trends - wie die Flüchtlingsströme – sieht man die Gründe, genauer den Grund: Krieg. Und hier sind es vor allem Kriege von hohem internationalem Interesse und mit vielfältigem internationalen Engagement: von der militärischen Intervention bis zu direkten und indirekten Waffenlieferungen. Es sind Regionen, an die sich die Befürchtung des Westens knüpfen, der Einfluss gewaltbereiter islamistischer Gruppen könne dort zu stark werden oder sie könnten als Rückzugsgebiet für Dschihadisten dienen. Im Westen gibt es oft erst nach der Erfolglosigkeit militärischer Lösungen eine Bereitschaft, politische Lösungen zu suchen und dafür dann auch mit militanten Gruppen zu sprechen.

Der Ruf nach Regime Change und nach internationalem Gewalteinsatz in diesen Kriegen war in der Weltöffentlichkeit groß und moralisch stark aufgeladen. Wer an der Flüchtlingssituation etwas ändern will, muss vor dem Griff zur Gewalt zugunsten eines Regime Change über dieses Ende der Kette nachdenken: Abermillionen von Flüchtlingen. Und er muss – lange bevor sie eskalieren – dazu beitragen, dass die ökonomische Perspektivlosigkeit der Bevölkerung überwunden wird und die mäßigenden Kräfte der Zivilgesellschaft eine Chance bekommen, gesellschaftliche und politische Konflikte gewaltlos zu lösen. Dann sind sie immuner gegen eine Instrumentalisierung und Infiltrierung seitens dschihadistischer Gruppen von außen. Die genannten Konflikte sind alle nicht dauerhaft befriedet und werden auch militärisch kaum dauerhaft zu befrieden sein, aber Millionen Menschen haben ihre Lebensgrundlagen verloren!

2. Was muss sich verändern, dass nicht mehr so viele Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen? Wer kann da was tun?

Entwicklung und zivile Konfliktprävention, die die lokalen Akteure unterstützen, sind bessere und billigere Optionen. Mindestens muss man diese Wege ernsthaft beschritten haben, bevor über Krieg zu reden wäre. Wir brauchen weltweit und in Deutschland eine effektive Strategie für Friedensförderung und Konflikttransformation, die alle Ressorts mit einbindet. Nachhaltige Konfliktprävention und –transformation brauchen langfristiges Engagement, praxistaugliche Konzepte und Instrumente - und deutlich mehr Mittel.

Auch bezüglich ihres Endzieles: Unkontrollierbare Exporte von Kriegsgerät und Kleinwaffen in Krisenregionen, wie sie in den letzten Jahren in Deutschland wieder massiv zugenommen haben, müssen dringend restriktiver gehandhabt werden. Auch diese Weise, sich potentiell in Gewaltkonflikten in anderen Regionen zu beteiligen (und sei es ungewollt) gehört dringend parlamentarischer Diskussion und Kontrolle unterstellt. Eine restriktive und transparente Rüstungsexportpolitik wäre ein wichtiger Beitrag zur Verkleinerung von Flüchtlingszahlen und –elend.

3.Fast die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit sind minderjährige Kinder und Jugendliche, viele davon sind Alleinreisende. Wie lässt sich ihnen sinnvoll helfen?

Minderjährige, allein reisende Flüchtlinge brauchen weltweit und so auch bei uns den höchst möglichen Aufenthaltsstatus, der ihnen eine sichere Perspektive im Aufnahmeland gibt. Derzeit müssen Kinder und Jugendliche aus Krisengebieten - wie z.B. aus Afghanistan - in Deutschland eine spezielle individuelle Bedrohung für ihr Leben oder ihre Freiheit nachweisen, um in den Genuss des Aufenthaltsrechts zu kommen. Die allgemeine Gewalt und Unsicherheit in einem Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiet reichen zur Begründung nicht aus. Ohne diesen Nachweis sind sie permanent von der Abschiebung bedroht und erhalten nach Asylbewerberleistungsgesetz weniger Leistungen als Kinder aus Hartz IV Familien oder Sozialhilfeempfänger. Sie befinden sich in einer perspektivlosen Situation, die ihnen weder eine angemessene Bildungschance noch unbeschwerte Gemeinschaft mit Altersgenossen verheißt. Hier muss also gesetzlich dringend nachgebessert werden.

Autor*in
Avatar
Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare