International

Martine Aubry am Steuer der stärksten Oppositionspartei

von Lutz Hermann · 26. November 2008
placeholder

Für die Sozialisten hat die Zeit des politischen Aufräumens begonnen. Aubry, die frühere Arbeits- und Sozialministerin in der Regierung von Lional Jospin (1997), bietet der Verliererin die Mitarbeit bei der Suche nach einem neuen Profil und neuem Programm der Partei an. Ein schwieriges Unterfangen: Ségolène Royal hat das Ergebnis der Stichwahl öffentlich angezweifelt, die Aubry mit einem noch knapperen Vorsprung von 42 Stimmen für sich entschieden hatte. Die Nachzählung ergab 102 Stimmen Vorsprung. Ob das Royal-Lager in die angebotene Kooperation einwilligt, bleibt abzuwarten.

Aubry setzte 35-Stunden-Woche um

Immerhin: Martine Aubry steht mit den mächtigen nordfranzösischen Landesverbänden eine starke Hausmacht zur Verfügung. Seit 2001 ist sie auch Bürgermeisterin der Industrie-Metropole Lille. Als Ministerin für Arbeit, Soziales und Solidarität entwickelte sie in den Neunziger Jahren den Gesetzesentwurf für die Einführung der 35-Stunden-Woche in Frankreich, die gesetzlich verankert wurde. In den letzten Jahren kritisierten jedoch Handel und Wirtschaft immer schärfer die Arbeitsregelung, weil sie die Flexibilität einschränke. Der bürgerliche Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy versprach in seiner Kampagne des Frühjahrs 2007 ihre Abschaffung, lenkte aber später als Präsident ein und überläßt der Industrie die praktische Anwendung.

Ehrgeiz und sozialpolitisches Enagagement

Die in Paris geborene Tochter des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, Martine Aubry, hat Politische Wissenschaften studiert und die Elite-Verwaltungshochschule ENA (Ecole Nationale d´Administration) absolviert. Sie gilt als tüchtig, ehrgeizig, eitel und ist weniger beliebt als die 55-jährige Ségolène Royal. Diplomatischer, bürgernah und der politischen Mitte zugeneigt zeigt sich Ségolène Royal, ihr fehlt jedoch das sozialpolitische Engagement einer Aubry. Die neue Parteichefin gehört der PS seit 1974 an. Den sozialdemokratischen Flügel vertritt dagegen Royal, die sich als Präsidentin der Region Poitou-Charentes in ihrem Wahlkreis großer Beliebtheit erfreut. Die Dame aus dem Norden sucht das betont sozialistische Profil der Partei und Wahlbündnisse mit linken Gruppierungen des Parteienspektrums.

Etwa 135 000 der insgesamt 230 000 Parteimitglieder haben gewählt, 67 451 für Aubry, 102 Stimmen weniger für Royal. Im PS-Partreirat, dem 306 Mitglieder angehören, erhielt sie 159, Ségolène Royal nur 76 Stimmen. Somit dürfte die Entscheidung eindeutig ausgefallen sein.

PS als konstruktive Opposition

Die Krise, die sich für viele wie eine Zerreißprobe darstellt, ist noch nicht ausgestanden. Der nach 11 Jahren zurückgetretene Vorsitzende Francois Hollande, der außer Erfolgen in Regionalwahlen keine Wahltriumphe mehr feiern konnte, dazu: "Die Partei ist heute in keiner vergleichbar schwierigen Lage!" Es liegt nun an Martine Aubry, die PS zu einer konstruktiven Opposition zu motivieren und es liegt an Ségolène Royal, ob ihre Rivalin Erfolg haben wird.

Schlagwörter
Autor*in
Lutz Hermann

ist Auslandskorrespondent in Frankreich für verschiedene Tageszeitungen und Autor mehrerer politischer Bücher, u. a. „Willy Brandt – ein politisches Porträt“ (1969).

0 Kommentare
Noch keine Kommentare