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Machtverhältnisse ändern sich dramatisch

von Ramon Schack · 24. Februar 2011
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Herr Baer, wie lange wird sich Oberst Gaddafi noch in Libyen halten können?
Robert Baer: Uns erreichen aus Tripolis nur sehr spärliche Informationen. Ich habe zur Stunde aber immer noch Kontakt zu einem Mann aus dem engsten Umfeld Gaddafis. Dieser Mann berichtet mir, die ohnehin schlimme Ausgangslage wird sich noch weiter verschlechtern.

Inwiefern?
Unter anderem soll Gaddafi seinen Sicherheitskräften angeordnet haben, die Ölanlagen zu sabotieren. Es gibt einen konkreten Befehl, im Falle eines totalen Zusammenbruchs, die Pipelines in die Luft zu jagen, um die Lieferungen in die Häfen am Mittelmeer zu unterbrechen.

Also eine Art Politik der verbrannten Erde?
Richtig. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal erwähnen, bei Libyen handelt es sich um eine Clan-und Stammesgesellschaft. Gaddafis Macht, welche ihn 41 Jahre an der Spitze des Staates hielt, beruhte immer auf der Loyalität der Stämme. Inzwischen kann er sich nur noch auf die Loyalität seines eigenen Stammes, der Qadhadhfa, verlassen.

Wie verhält sich das Militär?
Nach Aussage meines Informanten, verfügt die Armee über ca. 45.000 Soldaten, von denen nur noch 5000 an Gaddafis Seite stehen. Dabei handelt es sich um Eliteeinheiten, deren Offiziere persönlich von Gaddafi ausgewählt wurden. Darunter ist auch die Einheit, die von Gaddafis zweitjüngstem Sohn Khamis kommandiert wird.

Aus der gleichen Quelle heißt es, Gaddafi sei sich darüber im Klaren, dass er mit den zur Verfügung stehenden Truppen die Macht im Lande nicht zurückerobern kann. Er kann allerdings dafür sorgen, dass die rebellierenden Stämme und Armeeangehörigen ihre Illoyalität bereuen werden, indem er Libyen in ein zweites Somalia verwandelt, also in einen gescheiterten Staat, diesesmal nicht am Horn von Afrika, sondern am Mittelmeer, gegenüber von Europa. "Ich habe die Waffen und das Geld, um für eine lange Zeit kämpfen zu können", soll Gaddafi geäußert haben.

Sieht sich Gaddafi als das Opfer einer Verschwörung?
Oh ja, er fühlt sich von den Medien betrogen, vom Fernsehsender al-Jazeera aus Katar, aber natürlich auch vom Westen. Vergangenes Wochenende warnte Gaddafi verschiedene europäische Botschaften, im Falle seines Sturzes, würde Europa von afrikanischen Einwanderern überflutet.

Betrachten Sie die Unruhen und Umstürze in der Arabischen Welt auch als einen Zusammenbruch der westlichen, speziell der US-Außen-und Sicherheitspolitik, gegenüber dieser Region?
Mit Sicherheit. Was wir dort gerade erleben, ist der Zusammebruch der herrschenden Sunni-Klase, welche ihre innenpolitischen Probleme mit Geld lösen wollte, was jetzt nicht mehr funktioniert.

Erwarten Sie von der Obama-Administration eine totale Revision dieser bisherigen Politik?
Der Westen sollte jetzt schnell begreifen, seine alten Verbündeten existieren nicht mehr. Die Umstürze haben die geopolitische Landkarte der Region und die Machtverhältnisse dramatisch verändert. Wir müssen umgehend einen Ausgleich mit dem Iran finden, ansonsten verliert der Westen seinen Einfluss in der Region.

Warum mit dem Iran?
Nun, trotz aller Probleme im Iran, erscheint dieses Land doch wie eine Insel der Stabilität, im Vergleich zu seinen Nachbarstaaten- in dieser unruhigen Region. Bisher wurden ja nur die Verbündeten des Westens hinweg gefegt. Iran ist eine Nation mit gewaltigem Potenzial, das bisher aber nicht ausgeschöpft wird, mit natürlichen Grenzen, einem stabilen Staatsaufbau und einer starken Armee.

In Ihrem Buch "The devil we know" bezeichnen Sie den Iran als kommende Macht in der Region. Fühlen Sie sich bestätigt, durch die jetzigen Ereignisse?
Gerade hat der Iran zwei Kriegsschiffe durch den Suez-Kanal geschickt, in einer Zeit wie dieser. Betrachten wir die Situation in Bahrain, im Irak, vor allem im Libanon. Wie könnte da jemand behaupten, der Iran geht nicht gestärkt aus der Entwicklung hervor?

Vielen Dank Robert Baer.








Robert Baer ist einer der bekanntesten Nahost-Experten der USA. Die Bücher dieses ehemaligen CIA-Agenten sorgen regelmäßig für großes Aufsehen. Baers Werke See No Evil und Sleeping with the Devil lieferten die Vorlage für den 2005 fertiggestellten Film Syriana. Die Person des Film-Charakters Bob Barnes -gespielt von George Clooney- wurde Robert Baer nachempfunden.

Autor*in
Ramon Schack

ist Politologe und Journalist.

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