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Letzte Chance für Premier Manuel Valls

von Thomas Schnee · 29. August 2014
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Frankreichs Präsident François Hollande und sein Premier Manuel Valls haben die Regierung ausgetauscht, um allzu kritische Minister loszuwerden. Damit zeigt das Führungs-Duo, dass es voll hinter seiner Politik steht, die auf Haushaltsdisziplin und Wirtschaftshilfen setzt. Gleichzeitig reißt es die ideologischen Gräben in der französischen Linken wieder auf – was das Ende ihrer Regierungszeit bedeuten kann.

Ist der neueste Akt der französischen Krise ein Grund zur Freude oder zur Beunruhigung? Kündigt diese Klärung der politischen Verhältnisse eine Beschleunigung der Reformen an, die das Haushaltsdefizit reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen soll? Oder ist die Entscheidung von Präsident Hollande und seinem Premier Valls das letzte Aufbäumen der Macht, bevor die Linke an inneren Querelen zerbricht?

Im Grunde kündigt die Machtdemonstration von Manuel Valls keinen Politikwechsel an. Der Premier, vor fünf Monaten erst ernannt, verfolgt die Angebotspolitik, die sein Vorgänger Jean-Marc Ayrault und der Präsident begonnen haben. Sie machen nicht mehr und nicht weniger, als das "Theorem" von Helmut Schmidt anzuwenden, das besagt: "Die Gewinne von heute sind die Investitionen von morgen und die Arbeitsplätze von übermorgen."

Ausgaben-Politik ist Geschichte

Der "Pakt der Verantwortung", der zurzeit verhandelt wird zwischen Regierung, Unternehmen und Gewerkschaften in Frankreich, geht in diese Richtung. Andererseits glaubt Valls, dass Frankreich sein politisches Gewicht in Europa erst zurückgewinnen wird, wenn "es Haushaltsdisziplin beweist und strukturelle Reformen angeht". Bis jetzt hat die Sozialistische Partei dieses Ziel im Großen und Ganzen verfolgt. Auch der Partei-Historiker und Sozialist Alain Bergougnoux meint, "die Sozialisten, die sich nicht um Defizite scheren und eine europäische Krise provozieren wollen, sind eine extreme Minderheit".

Aber François Hollande kann den Franzosen noch immer keine Ergebnisse präsentieren, trotz seiner bereits angegangenen Reformen. Vom vorhergesagten Aufschwung ist noch nichts zu sehen. Die Arbeitslosigkeit steigt weiter, obwohl den Franzosen versprochen worden war, dass sie schon 2013 zurückgehen sollte. Jetzt bittet Manuel Valls um mehr Zeit und verspricht baldige Resultate. Aber im Zentrum der linken Wählerschaft glaubt man ihm nicht mehr. Die gegenwärtige Regierung hat den Ruf, keinen Einfluss auf europäischer Ebene zu haben und eine wirtschaftsfreundliche Sparpolitik zu betreiben. "Dafür habe ich Hollande nicht gewählt", beschwert sich Gilles Reynaud aus Paris. "Vor seiner Wahl hat der Präsident uns erklärt, dass sein wirklicher Gegner die Finanzwelt sei. Aber heute ernennt er Emmanuel Macron, einen ehemaligen Banker, zum Wirtschaftsminister!" Die Enttäuschung sitzt tief.

"Verräter" der sozialistischen Werte

Für die antikapitalistische Linke (Kommunistische Partei und andere Linke, die nicht in der PS organisiert sind) und einen kleinen Teil der Sozialisten ist die neu gebildete Regierung der Beleg dafür, dass François Hollande und Manuel Valls die linken Werte verraten haben. Das Misstrauen sitzt tief. Dementsprechend groß ist die Gefahr, dass der Präsident seine Mehrheit verliert und es zu Neuwahlen kommt. Alain Bergougnoux sieht das Problem darin, dass "die Linke seit François Mitterand eine klare Analyse scheut. Die PS hat sich de facto zum Pragmatismus bekehrt, das aber lieber verschleiert, als auf der ideologischen Ebene Klarheit zu schaffen." Infolge dessen ist laut Bergougnoux die neue Haltung nicht kommuniziert worden, wodurch ein Teil der Wählerschaft und der Funktionäre weiterhin einer anti-liberalen und wirtschaftsfeindlichen Ideologie anhängt.

Hollande schert sich nicht um seine Wahlversprechen und verfolgt stattdessen seine politischen Ziele. Das ist klar und ehrlich, was auf lange Sicht entscheidend sein kann. Aber kommunikativ gesehen, ist das brutal. Die Sozialistische Partei wird vor vollendete Tatsachen gestellt. Daher sind stürmische Debatten an diesem Wochenende zu erwarten, bei der Sommer-Universität der PS. Mit der Unterstützung von 203 Abgeordneten wollen der französische Präsident und sein Premier versuchen, ihre Truppen davon zu überzeugen, dass sie nicht ihre Werte verraten haben. Manuel Valls hat bereits erklärt: Ihre Politik sei "die einzig mögliche".

Front national liegt auf der Lauer

Hauptziel ist es, die Vertrauensabstimmung im September zu überstehen. Manuel Valls gibt sich zuversichtlich, redet aber auch Klartext über die Folgen, wenn sie die Mehrheit verfehlen: "Dann ist es aus, dann werden wir nicht weitermachen können." Die Folge wären Neuwahlen. Die Franzosen, beunruhigt und desillusioniert, müssten dann wählen zwischen einer zersplitterten Linken, den zutiefst zerstrittenen Konservativen und dem Front national, der gerade besonders aktiv und populistisch ist

übersetzt von T. Herdickerhoff

Autor*in
Thomas Schnee

ist französischer Journalist und Deutschland-Korrespondent. Er lebt seit 20 Jahren in Berlin. Schnee arbeitet für das Nachrichtenmagazin Marianne, das investigative Online-Portal Mediapart und andere Medien.

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